Der Triumph der Heilerin.indd
erstarb, und nun zeigte er sein wahres Gesicht - er war bis auf die Knochen erschöpft. »Ich wollte es Euch persönlich sagen. Ein Bote war mir zu riskant.«
Margaret musste sich plötzlich setzen. Draußen im Garten pflückte ein sanfter Wind Blätter von den Bäumen. Die letzten Bienen des Sommers täuschten einen Zustand von geschäftiger Zufriedenheit vor, indem sie die Pollen der verwelkenden Blumen plünderten.
»Ist er tot?« Ungebeten sprach Anne Margarets Gedanken laut aus.
Karl schüttelte den Kopf und ging zu einem Tisch, auf dem eine Silberkaraffe mit Wein sowie Gläser standen. »Nein, aber er hat sein Land verloren. Er ist vor über einer Woche aus England geflohen.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass er gelandet und nun zum Binnenhof in s'Gravenhage unterwegs ist ... ich habe ihm Männer entgegengeschickt, die ihn begleiten sollen. Bei meinem Gouverneur Louis de Gruuthuse wird er in Sicherheit sein. Bestimmt möchte Edward seinen Männern erst einmal eine Pause gönnen, bevor er weiter zu uns reist. Wir werden sehen . «
Er wandte sich seiner Gemahlin zu, in seiner Hand blitzte der blank polierte Kelch. Alle schwiegen, während er den Wein bis zur Neige austrank und diskret rülpste.
»Und?«
Margaret war kreidebleich vor Anspannung, und Anne vergaß beinahe das Atmen, als sie darauf warteten, was der Herzog weiter zu sagen hatte.
Karl von Burgund schloss seine Augen. Er war fast die ganze Nacht durchgeritten. Er wollte den Rat seiner Frau und ihren Körper, doch zuallererst musste er essen und schlafen, um wieder klar denken zu können. Er seufzte schwer. »Ach, Frau. Ich weiß, was Ihr von mir hören wollt. Und auch Ihr, Lady Anne.« Karl wusste, dass Anne Edward immer noch liebte, obwohl er keine Ahnung hatte, ob der König ihre Leidenschaft nach so langer Zeit noch erwiderte.
»Edward war immer gut zu Burgund, Mann.«
»Das stimmt, das ist richtig.«
Mit einem flüchtigen, wölfischen Lächeln betrachtete der Herzog seine Frau - ein Geschenk des englischen Königreichs. Sie war wunderschön, und er genoss ihren Körper und ihre Gesellschaft, aber das war nur ein zusätzlicher Gewinn. Sie hatte Flandern als Mitgift in die Ehe gebracht, und was noch wichtiger war, durch ihren Bruder, den König, verkörperte sie das Bündnis seines Herzogtums mit England. Doch nun war das Bündnis zerstört. Aus und vorbei. Die Figuren auf dem Schachbrett Europa würden neu geordnet werden, und er besaß womöglich nicht genug Macht, das Spiel zu beeinflussen.
Der Graf von Warwick hatte Edward Plantagenet aus England vertrieben. Nun konnte sich Frankreichs König Louis XI. des eitlen und unsicheren Grafen bedienen und sich in die englischen Angelegenheiten einmischen. Dies war in der Tat eine sehr gefährliche Situation. Ein neues Bündnis zwischen England und Frankreich würde für Burgund eine ernsthafte Be-drohung darstellen, eine Bedrohung, der Karl vielleicht nicht gewachsen war. Sollte er also seinem Schwager helfen, den englischen Thron zurückzuerlangen? Sollte er? Oder war es dafür schon zu spät?
»Werdet Ihr dem König helfen, Euer Gnaden?«
Karl lachte, sein Lachen klang unerwartet fröhlich. »Ach, Lady Anne, warum überrascht mich Eure Offenheit nicht?« Er schüttelte den Kopf, ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich seiner Gemahlin zu und gähnte dabei wie beiläufig. »Louis wird daran seine Freude haben, Frau. Er hat bekommen, was er wollte.«
Louis XI., König von Frankreich, war der Erzfeind Burgunds und ein persönlicher Feind des Herzogs. Denn Louis war es, der verhinderte, dass aus dem Herzogtum Burgund ein Königreich Burgund mit Karl als dessen König wurde. Karl I. von Burgund. Hatte das nicht einen verführerischen Klang? Aber ohne die Hilfe Englands als Verbündeter und ohne die aufreibenden Scharmützeln der Niederlande gegen Frankreich würde dies wahrscheinlich nie Wirklichkeit werden.
Karl musste seinen nächsten Zug sorgfältig überlegen. Wie stark war Warwick, nachdem er Edward mit Louis' Hilfe in die Flucht geschlagen hatte? Und würden die Magnaten und Barone Englands den Grafen auch unterstützen, wenn er diesen Idioten, Edwards abtrünnigen Bruder George von Clarence, auf den Thron setzte? Immerhin war es Warwick gelungen, seine Tochter Isabel mit dem jungen Herzog zu verheiraten. Damit standen die Chancen gut, dass eine neue Dynastie begründet wurde. Aber was war mit Margaret von Anjou und ihrem Bündnis mit ihrem einstigen Feind, dem Grafen? Sie hatte dem
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