Der Triumph der Heilerin.indd
trotzdem war seine bis dahin privilegierte Stellung als rechte Hand des Herzogs komplizierter geworden und von Misstrauen vergiftet. Um seine Loyalität gegenüber dem Herzog zu demonstrieren, hatte er sich deshalb freiwillig für diese gefährliche Mission zum französischen Hof gemeldet.
Wenn er nur unbehelligt aus dem Audienzsaal käme.
»Philippe, noch eins zum Schluss.«
»Sire?«
»Wie lautet dieser lustige Name, mit dem man Euch ruft?«
Philippe errötete. Nein, das konnte er nicht sagen, das war zu peinlich. »Was für ein Name, Sire?« Er konnte seine Stimme kaum unter Kontrolle halten. War er ein Kind, dass seine Stimme so zitterte?
Angesichts seines Unbehagens ging eine beinahe greifbare Unruhe durch den Saal wie ein Wind, der über ein Weizenfeld streift.
»Stiefelkopf, nicht wahr?« Philippe hörte rings um sich prustendes Gelächter, das von Hüsteln überdeckt wurde. Er straffte seine Schultern, drückte sein Rückgrat durch und wagte es, dem König in die Augen zu sehen.
»Ein Scherz, Sire. Es gefiel Herzog Karl, nach einem Unfall diesen Scherz zu machen. Wir mussten alle herzlich darüber lachen.«
Er verneigte sich würdevoll und zog sich mit glühenden Ohren aus dem Audienzsaal zurück. Er konnte das Gekicher noch hören, als die Tür hinter ihm geschlossen wurde, doch dem wollte er keine Beachtung schenken. Ja, ein Reitstiefel des Herzogs war nach ihm geworfen worden und, ja, er hatte ihn am Kopf getroffen. War es eine bewusste Beleidigung gewesen oder nur ein Ausrutscher, wie es jedem passieren kann? Er hatte wie die anderen in Karls Gefolge über das Missgeschick gelacht. Der Herzog aber hatte den Vorfall noch verschlimmert, indem er ihn mit dem Spottnamen »Stiefelkopf« bedachte. Das war an ihm haften geblieben. Und nun wussten sie auch hier in Frankreich davon. Der König wusste davon. Philippes Herz wurde schwer wie ein Stein.
Wenn er in Burgund nicht geschätzt wurde, gab es auch andere Möglichkeiten für ihn. Wenn der Herzog und der Hof in Burgund an seiner Loyalität zweifelten, wenn sie weiter i hren Spaß mit ihm trieben, dann könnte er wirklich in die Dienste des französischen Königs treten, nicht nur gerüchteweise.
»Ein Sohn? Die Königin hat einen Sohn geboren?«
Louis de Gruuthuse nickte. »Eine leichte Geburt, Majestät. Und der Knabe, Euer Erbe, ist gesund und wohlauf.« Edward und seine Männer waren gerade auf dem Rückweg von der Jagd. Sie waren schmutzig und müde, hatten diesmal aber mehr Jagdglück gehabt. Da war ihnen im Galopp ihr Gastgeber entgegengeritten. Der König, schlechte Nachrichten befürchtend, hatte seinem Pferd hart in die Zügel gegriffen und dabei den Hengst erschreckt, den er mitführte - und auf dessen Rücken der flüchtige Hirsch vom Vortag festgebunden war. Die Geburt eines Sohnes änderte alles. Alles.
Edward Plantagenet jubelte. Vor Freude nahm er sein Pferd so hart an die Kandare, dass es sich schnaubend dagegen auf-lehnte. Doch dann verwandelte sich Edwards beglückter Gesichtsausdruck langsam in Trauer. Die Niederländer erklärten sich das mit der Trennung von der Königin in dieser Stunde, doch William Hastings und Richard von Gloucester kannten den wahren Grund. Sie wussten, dass Edward an einen anderen kleinen Knaben dachte. Und an dessen Mutter, Anne de Bohun, jene Frau, die dem König seinen wahren erstgeborenen Sohn geschenkt hatte.
Um den König aus seiner traurigen Stimmung zu reißen, rief Hastings: »Das ganze Land wird sich mit Euch freuen, Majestät!« Er lenkte sein Pferd dicht an das des Königs. »Jetzt kann sie sich winden, so viel sie will. Der Sohn von Margaret von Anjou ist nie als Henrys ehelicher Sohn anerkannt worden. Der neue Prinz wird den Fürsten einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dies ist ein höchst glücklicher Tag für unsere Sache, Euer Majestät.«
Richard bekreuzigte sich inbrünstig. »Amen. Ein rechtmäßiger Sohn.« Er fing einen kurzen Blick seines Bruders auf.
»Welchen Namen hat die Königin dem Kind gegeben, Louis?«
»Euren Namen, soviel ich weiß, Euer Majestät. Edward.«
»Nun, wenn mein Schwager Euch diese Nachricht persönlich geschickt hat, wie lange ist es her, dass das Kind geboren wurde?«
»Vielleicht acht oder zehn Tage.« Edward wartete die Antwort kaum ab. Er ließ die Zügel des mitgeführten Pferdes los, gab seinem Pferd die Sporen und sprengte in Richtung Binnenhof davon.
»Edward?«, rief Richard seinem Bruder nach. Da er keine Antwort bekam, gab er seinem eigenen
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