Der Triumph der Heilerin.indd
ein übler Gestank von faulendem, brennendem Bein zog durch den Raum. Das brachte den König erst recht in Rage. »Bringt mir den Koch, der diese Gans zubereitet hat!«
Le Dain zog sich eilig und unter vielen Verbeugungen zurück und pries den fauligen Zahn, der den König von der unangenehmen Nachricht über Edward Plantagenets Verschwinden abgelenkt hatte. Solange der König in dieser Stimmung war, würde Olivier le Dain sich freiwillig nicht wieder in seine Nähe begeben, nicht für alle Ländereien im Tal der Loire, auf die er es abgesehen hatte. Zum Glück würde wahrscheinlich der unglückliche Koch den Zorn des Königs auf sich ziehen, und er, Olivier, würde die nächste Nacht im eigenen Bett verbringen können und müsste nicht in einem Eisenkäfig frieren. Und morgen war ein anderer Tag. Morgen, das spürte er, würde er herausfinden, wo Edward Plantagenet sich versteckt hielt. Aber wie? Olivier le Dain stand in der Halle des Jagdschlösschens und brüllte. Es verschaffte ihm Befriedigung, als er sah, wie viele aus dem Gefolge des Königs herbeigerannt kamen, um zu hören, was er wünschte.
»Der Gänsekoch! Der Gänsekoch soll kommen. Der König wünscht ihn zu sehen!«
Der arme Koch wurde aus der Küche gezerrt und zu le Dain gebracht, wo er auf die Knie fiel und das Haupt senkte. Da kam diesem eine Idee. Er, Olivier le Dain, wollte den Kopf von Edward Plantagenet seinem Herrn auf einem Tablett servieren. Gerade so, wie dieser Mann, der vor ihm auf den Knien rutschte, die Gans serviert hatte. Dann würde er endlich mit den heiß begehrten Gütern im Tal der Loire belohnt werden. Voller Angst wagte der Koch, den Blick zu heben. Gegen jede Vernunft hoffte er, dass das Mahl, das eben serviert worden war, das Wohlgefallen des Königs gefunden hätte. Aber dann starb alle Hoffnung. In den Augen von Olivier le Dain sah er sein Schicksal geschrieben und stöhnte.
Der Barbier kannte kein Mitleid. »Mein Freund, Ihr habt gerade Eure letzte Gans zubereitet.«
Kapitel 21
Sie bewegten sich in einem gefährlichen Tempo durch die stille Winterlandschaft. Leif Molnar hatte recht gehabt. Eine Seereise, so tückisch sie in dieser Jahreszeit auch sein mochte, war einer Reise über Land allemal vorzuziehen. Pferde sind empfindliche Kreaturen, trotz ihrer Größe, und ein schneebedecktes Land barg mancherlei Hindernisse - Vertiefungen im Weg, gefrorene Pfützen oder Glatteis. Bei diesem Tempo riskierten die Reiter mitjedem Schritt ihr Leben. Doch an solche Dinge dachte Anne de Bohun nicht, als sie hinter Edward Plantagenet im Sattel saß. Ihre Sorge galt der Zukunft nach dieser eisigen Reise und auch der unmittelbaren Vergangenheit.
Noch keine zehn Tage war es her, dass sie zwischen die Hufe von Edwards Pferd geraten war, und obwohl sie stark war und schnell genesen war, fühlte sie sich immer noch schwach. Ihr Kopf pochte bei jedem Hufschlag, ebenso die fest bandagierten Rippen und ihr Finger. Hatte sie Schmerzen, weil ihre Wunden heilten oder weil sie ein schlechtes Gewissen hatte? Sie hatte Leif Molnar nicht freiwillig zurückgelassen. Warum war sie so traurig, wenn sie an den Kapitän dachte und sich sein Gesicht vorstellte?
Edward war mit seinen Männern und Anne drei Tage zuvor vom Binnenhof geflohen. Anne war nicht gefragt worden, ob sie mitkommen wollte. Edward war mitten in der Nacht in ihr Zimmer gekommen und hatte sie wachgeküsst - es war ihr vorgekommen wie ein Traum. Dann hatte er sie aus den warmen Decken gehoben und hatte ihren zitternden, nackten Körper angekleidet. Die ganze Zeit über hatte er kein Wort gesagt, sie nur noch einmal sehnsüchtig geküsst.
Gemeinsam waren sie Hand in Hand durch das schlafende Schloss geschlichen bis zu der Stelle unter freiem Sternenhimmel, wo die Pferde und die Männer sie stumm und unruhig erwarteten. Ihre Knie hatten plötzlich nachgegeben, aus Angst und aus körperlicher Schwäche, aber auch, weil sie wusste, dass ihre Zukunft begonnen hatte.
Bevor sie auf dem Boden aufschlug, fing Edward sie auf. Rasch schwang er sich in seinen Sattel, und sie wurde zu ihm hinaufgehoben. Er wollte ihr das Reiten nicht zumuten, solange er nicht sicher war, dass sie kräftig genug war, ein Pferd in Schach zu halten. Zusätzlich zu den vielen Kleiderschichten, die Edward ihr vor Verlassen des Zimmers übergezogen hatte - er hatte sogar darauf bestanden, dass sie zwei Paar Hosen anzog und sie mit seinen langgliedrigen Fingern eigenhändig unter den Knien geschnürt -, wurde ihr
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