Der Tschernobyl Virus
man die gesamte Bevölkerung impfen könnte. Ich glaube, wir sollten besonders darauf achten, nicht übertrieben zu reagieren. Sie erinnern sich vielleicht nicht an das Fiasko mit der Schweinegrippe '75, doch ich kann mich noch sehr genau daran erinnern.«
»Was war denn da?«, antworteten Heip und die Kanzlerin im Chor.
»1975 starb ein neunzehnjähriger Rekrut in einer Kaserne in Louisiana, nachdem bei ihm grippeähnliche Symptome festgestellt worden waren. Durch Tests konnte bestätigt werden, dass er sich mit einer besonderen Variante der Schweinegrippe infiziert hatte, von der man glaubte, dass sie eng mit der klassischen Spanischen Grippe verwandt war. Alle gerieten in Panik. Der damalige Präsident Gerald Ford ordnete die Produktion von 150 Millionen Einheiten des Impfstoffs gegen die Schweinegrippe an. Auch sechs Monate später hatte es keine weiteren Opfer des Virus mehr gegeben. Man begann sich sogar zu fragen, ob der erste Soldat nicht an einem Herzinfarkt gestorben war. Inzwischen jedoch hatte der Wahlkampf um Fords zweite Amtszeit begonnen, und der Präsident wollte diesen kostspieligen Fehler nicht eingestehen. Also hörte er auf seine Berater vom CDC und sorgte dafür, dass in großem Maßstab Schutzimpfungen durchgeführt wurden. Das Problem war, dass Leute durch den Impfstoff starben. Mehrere hundert Menschen verloren ihr Leben, weil es bei ihnen aufgrund der Impfung zu gesundheitlichen Komplikationen gekommen war, bevor die Aktion gestoppt wurde. Am Ende kam es zum größten Zivilgerichtsprozess der gesamten Medizingeschichte. Und wozu das alles?«
»Die Leute hier sterben aber nicht an Herzinfarkt«, gab die Kanzlerin zu denken.
»Natürlich. Ich möchte nur vorschlagen, dass wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und unsere Reaktion sorgfältig abwägen. Es hat keinen Sinn, wenn die Leute Gasmasken anziehen und sich in den Bunkern in ihren Hinterhöfen verkriechen, wie es jedes Mal in den Fünfzigerjahren der Fall war, wenn die Sowjets verrückt gespielt haben.«
»Gut, dann spielen wir einmal alle Möglichkeiten durch«, sagte die Kanzlerin, »wer hat den ersten Vorschlag?«
»Krebs«, Koch konnte sich nicht mehr zurückhalten, »Breitenmüller hatte eine Kombination, die ich so noch nie gesehen hatte. Er hatte Schilddrüsenkrebs und Leukämie.«
»Das wissen wir«, Karg wusste nicht, worauf Koch hinaus wollte, »aber was hat das mit dem Virus zu tun?«
»Krebs überträgt sich nicht so einfach. Wir haben es hier mit Ansteckungen zu tun, die anscheinend über die Luft gehen. So wie bei einem Grippevirus.«
»Was wollen sie damit sagen?«, jetzt wurde Liebknecht, der die ganze Zeit über recht desinteressiert gewirkt hatte, neugierig.
»Wir denken, dass es eine ganz neue Art von Krebs ist. Viel gefährlicher als die bisher bekannten Arten. Der Krebs wuchert verdammt schnell und hat die Symptome, die wir von den beiden genannten Krebskrankheiten kennen.«
»Und dieser Virus heftet sich an einen Grippevirus«, Shu führte Kochs Ausführungen weiter, »unser Immunsystem erkennt den Grippevirus und bekämpft diesen.«
»Wodurch das Krebsvirus unbehelligt weiterarbeiten kann«, Liebknecht nickte, »das klingt plausibel.«
»Wenn das so wäre«, die Kanzlerin hakte nach, »wo wäre dann der Ursprung.«
Die Wissenschaftler schauten durch die Runde, »Nun ja«, Koch räusperte sich, »was fördert sowohl Schilddrüsenkrebs als auch Leukämie?«
»Strahlung?« zum ersten Mal meldete sich Marie Chudy.
»Ja«, Koch stimmte zu, »Dr. Lehman, unser Verbindungsmann in London erzählte mir, dass er auch zuerst so eine Vermutung gehabt hatte. Seine Frau wurde übrigens in Tschernobyl geboren«, er lächelte, »in der Nacht, als das Atomkraftwerk in die Luft flog.«
»TSCHERNOBYL!!!!«, plötzlich schrie Shu los, sie beugte sich so schnell zu Koch herüber und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, dass er gar nicht reagieren konnte, »Ich wusste, ich hatte etwas übersehen.« Hastig blätterte sie durch ihre Unterlagen, während alle anderen sie überrascht ansahen. Sie suchte offensichtlich eine Information, die irgendwo in ihren Unterlagen versteckt war. Ohne mit dem Blättern aufzuhören sprach sie los, »Marc und ich«, Koch war überrascht, dass sie ihn zum ersten Mal beim Vornamen nannte, »hatten überlegt, wo die Verbindung von Breitenmüller zu dieser Zandler war, sie erinnern sich, die Krebspatientin, die ich erwähnt hatte«, sie blätterte weiter. Plötzlich stoppte sie, nahm
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