Der Tschernobyl Virus
verbittert, »du lässt uns zu oft alleine. Du bringst dich in Gefahr. Du bist verantwortungslos.«
»Ich habe Verantwortung«, Marc schüttelte den Kopf, »Ich bin nun mal Arzt. Ich helfe Menschen. Ich helfe, die Ausbreitung von Viren zu stoppen.«
»Du bist aber verantwortungslos gegenüber deiner Familie. Du bist weg, wenn wir dich brauchen. Wir sitzen hier alleine herum – ich sitze dumm zuhause herum, während du in der Welt herumrennst und dich um alle Menschen kümmerst, nur nicht um Nina und mich.«
»Ach, tust du das?« Diesen Satz wollte Marc am liebsten sofort zurückrufen, er war aber leider schon gesprochen.
Ana stellte ihr Glas auf den Tisch, »Was willst du damit sagen?« Der Ton verhieß nichts Gutes. Doch da musste Marc jetzt durch. Er konnte da nicht zurück, »Nun ja«, er versuchte, so selbstsicher zu klingen, wie möglich, „ich rief bei dir an, sehr spät abends. Aus London. Du warst nicht da.«
Ana sah ihn streng an, »Ich weiß. Tanja erzählte mir, dass du angerufen hast. Du hättest nur eine halbe Stunde später anrufen müssen.«
»In welchem Film warst du denn?« Marc lehnte sich zurück. Er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er leicht zitterte. Dies war die Art von Gespräch, vor der er immer Angst hatte.
»Film? Ich war nicht im Kino.« Ana sah ihn fragend an.
»Tanja hatte mir gesagt, du wärst mit einer Freundin im Kino gewesen.«
»Ach, da hat sie etwas falsch verstanden«, sie trank etwas zu hastig einen Schluck Wein, »ich war mit…Denise etwas trinken.«
»Ach so«, Marc merkte sofort an dem Zögern, dass das nicht stimmte. Doch er versuchte so zu tun, als ob alles in Ordnung sei.
»Willst du mir etwas unterstellen?« Jetzt hörte sich Ana wirklich gefährlich an.
»Nein, das will ich überhaupt nicht«, Marc merkte, wie er immer mehr in die Defensive ging.
»Doch, das tust du«, Ana wurde lauter, »du rennst hier was weiß ich wo rum, wer weiß mit wem, und wirfst mir vor, ich würde dich belügen... «
»Ich habe nicht... «, Marc versuchte einen Einwand, doch Ana war jetzt in Fahrt.
»Doch, hast du«, sie machte eine kurze Pause, stellte ihr Weinglas ab und stand auf. Sie redete jetzt ganz ruhig weiter, »Ich glaube, ich brauche etwas Abstand von dir. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Es wäre nett von dir, wenn du ins Gästezimmer ziehen würdest. Ich mach dir das Bett zurecht.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie nach oben.
Marc stellte auch sein Weinglas ab, dann lehnte er sich zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Er fragte sich, wie lange das noch so weitergehen sollte.
Kapitel 21
Koch wachte erschrocken auf, doch einen Augenblick lang wusste er nicht, ob er nicht immer noch träumte. Im Bett des Gästezimmers liegend, starrte er hoch zu seiner Frau, die neben ihm stand und nichts weiter trug als ein langes T-Shirt, das ihr nur bis zu den Oberschenkeln reichte. Er fragte sich, ob Ana gekommen war, weil sie sich zu ihm legen wollte. So hatten sie das nicht abgemacht. Doch der Anblick ihrer über ihm schwebenden, üppigen Formen löste in seinem Körper eine unerwartete Woge der Erregung aus. Entgegen seiner eigentlichen Absichten wünschte er sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher, als dass sie ihr T-Shirt auszog und zu ihm unter die Decke kroch. Stattdessen hob sie die Hand und reichte ihm das schnurlose Telefon.
»Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe, Marc«, sagte sie, doch wegen einer gewissen Schärfe in ihrer Stimme klang der Satz in seinen Ohren keineswegs wie eine Entschuldigung.
»Sie meint, es sei wichtig.«
Koch rieb sich die Augen und versuchte, sich zu konzentrieren. Er sah auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Es war 5.12 Uhr. »Danke«, sagte er und bemühte sich, den Schlaf aus seiner Stimme zu vertreiben. Er nahm das Telefon von Ana entgegen. Ana zögerte einen Augenblick. Sie starrte Koch an, und ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie zugleich verletzt und besorgt war. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Seine Blicke folgten ihr, bis sie verschwunden war und die kalte Wirklichkeit vor Tagesanbruch die letzten Reste seines Verlangens vertrieben hatte, dass er zuvor wie in einem Traum gespürt hatte.
»Hallo«, sagte er in das Telefon.
»Tut mir Leid, Sie so früh anzurufen«, sagte Ming Shu..
»Kein Problem.« Er räusperte sich noch einmal und setzte sich im Bett auf. »Worum geht es?«
»Die Kanzlerin hat für heute Morgen um halb elf eine Sondersitzung
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