Der Tuchhändler (German Edition)
einzuquartieren.
Ich drückte die Tür auf. Sie schleifte über den Fliesenboden und zirkelte einen Halbkreis durch die Grassamen und verwelkenden Blätter, die der Wind hereingeweht hatte. Als ich das Laub mit dem Fuß beiseiteschob, konnte ich erkennen, daß der Halbkreis auch in den Boden geritzt war, ein heller, unregelmäßiger Strich in der altbackenen Schmutzschicht und auf den Fliesen. Die Tür war kürzlich benützt worden.
Während meiner Zeit als Assistent des Bischofs hatte ich viele leerstehende Häuser gesehen: Bauernhäuser, aus denen der Krieg die Bewohner vertrieben hatte, und Pächterhütten, bei denen eine drückende Schuldenlast das gleiche getan hatte. Einige waren planmäßig verlassen worden und nur mehr aufrecht stehende Hüllen, aus denen verbitterte Hände alles losgerissen hatten, was sich wegtragen und auf irgendeine Weise verwerten ließ. Andere standen noch voll kargem Mobiliar, mit in die Ecke geschobenen Tischen, umgefallenen Stühlen und aufgebrochenen Truhen, in denen verblassende Kleider Modergeruch in die Luft sandten. Bei manchen hatte ich ein schlechtes Gewissen verspürt, während ich für meinen Herrn eine Bestandsaufnahme machte; bei vielen war ich voll Mitleid gewesen für die einstigen Bewohner, die jetzt heimatlos waren.
Bei keinem jedoch hatte ich ein ähnliches Gefühl der Beklemmung gefühlt wie hier, während ich die breite, gerade nach oben führende Treppe hinaufstieg, die direkt hinter der Tür ins Dunkle führte. Obwohl ich sicher war, daß sich außer mir niemand im Haus befand, spürte ich, daß ich in einen Bereich eindrang, in dem ich nicht willkommen war. Ich hatte eine deutliche Erinnerung an die Gestalt, die als ein dunkler Schatten vor einer kleinen Kerze im Fenster gestanden und schweigend auf mich herabgeblickt hatte, und merkwürdigerweise erfüllte mich diese Erinnerung mit größerer Beklommenheit als diejenige an die beiden Überfälle. Ich legte die letzten Treppenstufen in völliger Finsternis zurück, mit einem Schauder, der mir mit jedem Schritt über den Rücken lief. Ich mußte den Drang bekämpfen, schnell zu laufen wie ein kleiner Junge, der aus einem finsteren Keller flüchtet, weil er den Todesschrei einer Maus gehört hat, der die Katze das Rückgrat zerbricht. Die Treppe endete an einem Absatz; zwei weitere Schritte brachten mich zu einer Wand. Ich fuhr mit den Fingerspitzen daran entlang, und noch während meine Augen sich langsam an das schlechte Licht gewöhnten und ich begann, vage Umrisse zu sehen, stießen meine Finger auf einen Türstock. Die Tür war geschlossen, aber ich fand die Klinke, ein dünnes Winkeleisen mit einem rauhen Griff, und öffnete die Tür.
Es war nicht viel heller dahinter. Ein großer Raum, vollkommen leergeräumt und mit einem Holzboden versehen, dessen Planken sich in der Feuchtigkeit an beiden Seiten aufbogen und in der Stille überlaut knarrten, sobald man sich bewegte. An einer Seite konnte ich deutlich die lichten Umrisse sehen, wo die Fenster mit Decken verhängt waren. Ich durchquerte den Raum, stolperte über die rissigen Kanten der Holzplanken und packte die Decke vor dem nächstliegenden Fenster. Sie war ohne Befestigung über eine altersschwache Vorhangstange gehängt worden: Als ich zu heftig daran zog, flatterte sie mit einem Schwall aus Modergeruch und Staub auf mich herab. Das Nachmittagslicht drang herein und blendete mich. Ich mußte für einen Moment die Augen schließen. Als ich sie wieder öffnete, sah ich durch die schmutzblinden Scheiben in die Gasse hinab. Die beiden Wappner standen gelangweilt an der Mauer des gegenüberliegenden Gebäudes, ohne mich zu bemerken. Ich wußte, daß ich in demselben Fenster stand wie der düstere Schatten, der mich von hier aus beobachtet hatte.
Ich drehte mich um und betrachtete den Raum. Im Grunde hatte ich nichts Besonderes erwartet, und er bot auch keinen besonderen Anblick. Das dürre Laub vieler Herbstfälle, das der Wind und die kriechende Zugluft bis hier herauf transportiert hatten, war in einer Ecke zusammengeschoben worden. Bestimmt ein halbes Dutzend herabgebrannter Kerzenstummel war zu sehen, kalt in den erstarrten Pfützen aus Unschlitt stehend. Ich bückte mich und löste einen davon von den Brettern: Der Docht war noch intakt, aber mehr als ein paar Minuten Licht würde sie nicht mehr geben. Man hatte sie lange brennen lassen. Was einmal als Tapete die Wände eines reichen Bürgerhauses bedeckt hatte, war verblaßt, verschimmelt und in
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