Der Tuchhändler (German Edition)
starb, konnte man an ihm keine Vergeltung mehr üben. Heinrichs Sohn Ludwig der Reiche war aber bis auf die Zeit, während der er mit Albrecht Achilles die Klingen kreuzte, niemals so verwundbar wie sein jähzorniger Vater. Vielleicht haben sie erst jetzt eine Möglichkeit gesehen, sich zu rächen.«
»Es hat nur einen Haken«, sagte ich. »Das Ganze ist vor dreißig Jahren passiert.«
»Warum? Haß ist eine Flamme, die lange brennt.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Im Moment ist es noch nicht einmal von großem Belang«, sagte ich. »Wir müssen warten, bis der Beauftragte des Richters eintrifft.«
»Was wirst du in der Zwischenzeit unternehmen?«
»Ich statte dem Haus des Dietrich Reckel einen Besuch ab«, antwortete ich grimmig.
Er wäre beinahe aufgesprungen; im letzten Moment hielt ihn seine schmerzende Seite davon ab. Mit verzerrtem Gesicht sank er wieder in seinen Sessel zurück.
»Bist du verrückt geworden?« rief er. »Du begibst dich in die Höhle des Löwen. Ich bin nicht damit einverstanden. Es ist viel zu riskant. Du spazierst ihnen ja direkt ins Messer!«
»Man wollte mir zweimal ans Leder; ich habe das Gefühl, daß ich jetzt etwas unternehmen muß. Wenn unsere Vermutung falsch ist und die Überfälle nichts mit den geheimnisvollen Bewohnern des Hauses zu tun haben, droht mir vermutlich keine Gefahr«, sagte ich. »Und wenn doch: Einer der Spitzbuben ist tot, und die anderen beiden liegen in Ketten. Wie sollen sie mir noch gefährlich werden?«
Ich verschwieg, daß es mindestens drei weitere Kerle gab. Ich wollte nicht mit ihm diskutieren; ich hatte das Gefühl, daß mein Entschluß richtig war. Ich wollte es mir nicht womöglich noch ausreden lassen.
»Ich begleite dich«, rief er.
»Das kommt nicht in Frage«, sagte ich fest. Er betrachtete mich unglücklich.
»Nimm einen Wappner mit. Am besten zwei.«
»Dieses Angebot nehme ich an. Sie können das Tor aufbrechen, wenn mir niemand aufmacht.«
Er bückte sich mühsam und öffnete eine Truhe, die neben seinem Tisch stand. Ich hörte, wie er darin herumkramte. Das Klirren von Eisen war zu hören. Als er wieder auftauchte, hielt er einen massiven Schlüssel in der Hand.
»Dieser hier öffnet dir die Türen leichter«, sagte er und legte ihn auf den Tisch. »Das Schloß vor dem Tor hat die Stadt anbringen lassen.«
Ich nahm ihn und lächelte.
»Bald wissen wir mehr.«
Das Schloß, das das Tor in der Mauer abriegelte, ließ sich nur schwer bewegen; der Schlüssel kreischte und widersetzte sich anfangs allen Bemühungen, bevor er sich doch drehen ließ. Die beiden Büttel standen auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse und behielten die Hausfassade im Auge. Ich hatte sie angewiesen, dort, gut sichtbar, auf mich zu warten. Ich hatte nicht vor, sie mit ins Haus hineinzunehmen; je weniger sie erfuhren, desto weniger konnten sie herumtratschen. Ganz abgesehen davon erwartete ich nicht, weiter als bis in den Hof zu kommen. Wenn die Bewohner des Hauses ihr Hoftor überwachten, mußte es ihnen ein leichtes sein, mich noch draußen abzufangen.
Als ich unbeschadet über den Hof bis zur Haustüre kam, die schief in den Angeln hing, wußte ich, daß das Haus leer war.
Ich spürte eine merkwürdige Mischung aus Erleichterung und Bedauern, als ich mir diesen Umstand klarmachte. Ausgeflogen, dachte ich, dir wird nichts passieren. Zugleich fragte ich mich, wie es nun weitergehen mochte.
Ich legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben.
Hier, vom Inneren des abgeschlossenen Hofes aus, machte das Haus einen noch verwahrlosteren Eindruck. Die Fenster waren hier größer, der Stuck um sie herum prunkvoller; aber die hölzernen Rahmen waren zerborsten und hingen schief in den Fensterlöchern, und das weit über die Außenmauer hinaus gezogene Dach wies so viele fehlende Schindeln auf, daß es wirkte wie der Kiefer eines Totenschädels, der aus zu vielen Zahnlücken grinst. Der Hof war größtenteils gepflastert, wie auch der sichtbare Teil des Hausganges, ein erblindetes, grobflächiges Mosaik aus Steinfliesen, die kalt und grau den Himmel widerzuspiegeln schienen. Eine Ecke war von der Pflasterung ausgespart geblieben, aber die Kräuter, die dort früher einmal gezogen worden waren, hatten sich längst in gelblichtrockenes, zerzaustes Gras verwandelt. Ich dachte: Hanns Altdorfer, du hast dieses Haus noch niemals aus dieser Position gesehen; sonst würdest du nicht mit dem Gedanken spielen, notfalls hier einige Hochzeitsgäste
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