Der Tuchhändler (German Edition)
zu prüfen. Tannberger hatte die Stoffe in dichtes Tuch einwickeln und zum Teil Leder darum festbinden lassen, um sie vor dem Wasser zu schützen. Plötzlich tat es mir leid, daß ich ihn nicht persönlich in Landshut hatte willkommen heißen können. Ich wischte mir die nassen Hände an den Hosenbeinen ab, legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. Er hatte es geschafft. Ich begann, den Lärm um die Ausladestelle zu genießen.
Dann stieß eine Frau einen spitzen Schrei aus, und das Singen und Rufen verstummte nach und nach. Ich öffnete verwirrt die Augen und sah mich um, aber ich erblickte es erst, nachdem nochmals jemand in meiner Nähe aufschrie und auf das Wasser hinaus zeigte.
Die Strömung hatte die Flöße wieder auseinandergezerrt, und die Spannung hatte die schwere Kette vom Flußboden hochgezogen. Sie war schmutzig; Algen und Wassergras hingen triefend von ihren Gliedern und tanzten mit den Schwingungen der Kette auf und ab. Dazwischen hing der schlaffe, nasse Körper eines Menschen. Ich sah ihn, und in diesem Moment fiel er durch die Bewegungen der Kette ins Wasser zurück und versank. Ein paar Männer auf den Flößen stachen sofort mit den Stangen hinterher, und andere stürzten sich vom Land aus ins Wasser. Sie hatten ihn in Sekundenschnelle herausgezogen; anders als das würdelose Gezerre um den Toten vom Bleich wehr. Zwei der Flößer hoben ihn aus dem seichten Wasser und trugen ihn an Land. Sie legten ihn vorsichtig auf den Rücken und sahen sich betreten um. Einer bückte sich und pflückte Schmutz von seinem Gesicht.
Mein Herz setzte aus und pumpte dann Eis in meinen Körper. Es war mein Spitzel, und er war so tot wie ein Büschel Tang.
Nicht lange danach stand ich mit Hanns Altdorfer vor dem Versammlungshaus der Flößer und Fischer am oberen Ende der Ländgasse. Man hatte die Leiche in einer Ecke des engen Beratungsraums aufgebahrt. Ein Kreis von Männern mit langen Gesichtern stand um sie herum und starrte sie an; beinahe alle von ihnen trieften noch vor Nässe von der Entladeaktion. Ich dachte flüchtig daran, daß meine Stoffe mittlerweile bereits auf die Transportkarren geladen wurden, die Jörg Tannberger beschafft hatte, aber ich konnte keine Freude mehr darüber empfinden. Die Männer drehten sich nach unserem Eintreten zu uns um. Hanns Altdorfer blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, aber ich eilte ohne Zögern auf die Bahre zu. Die Männer wichen zur Seite, und plötzlich fand ich mich Auge in Auge mit dem Sprecher der Flößer wieder. Er sah mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Zorn an, als wollte er sagen: Dafür bist du verantwortlich; ich weiß nur nicht wie. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er wandte den Blick nach unten, und ich folgte ihm unwillkürlich und sah dem Toten ins Gesicht. Es war von leuchtender Blässe; die Bartstoppeln stachen scharf von der weißen Haut ab. Sonst hatten Tod und Wasser keine deutlichen Beschädigungen in seinen Zügen angerichtet. Jemand hatte kleine Münzen auf die Augen gelegt, damit die Lider geschlossen blieben. Als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, wollte er sich als Friedensstifter zwischen den Familien zweier vermeintlicher Liebender betätigen.
Der Sprecher sagte mit erstickter Stimme: »Gott sei seiner Seele gnädig.«
Ich stützte mich schwer auf die Bahre und atmete tief ein und aus. Undeutlich spürte ich, wie Hanns Altdorf er neben mich trat.
»Wer ist der Mann?« fragte er leise.
Ich sah auf und begegnete dem verwundeten Blick des Sprechers der Flößer. Ich biß die Zähne zusammen und drehte mich zu Hanns um. Ich sah ihm eindringlich in die Augen und sagte: »Er hat einen kleinen Dienst für mich verrichtet.«
Der Stadtkämmerer verstand genug, um nicht weiter nachzufragen. Sein Blick irrte ab und traf ebenfalls das Gesicht des toten Mannes. Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Hatte er Familie?« hörte ich mich fragen.
Der Sprecher der Flößer nickte.
»Die Zunft wird sich ihrer annehmen. Wenn Ihr für sie etwas spenden wollt ... «
Ich antwortete nicht sofort, und er setzte stockend hinzu: »Es ist Eure Entscheidung. Ich möchte nicht, daß Ihr Euch verantwortlich fühlt für seinen Tod. Ihr seid sicherlich schuldlos.« Er sah mir in die Augen, und sein Blick strafte seine Worte Lügen. Er war sich nicht im mindesten sicher, daß ich für den Tod seines Kameraden nicht verantwortlich war; aber er konnte sich keinen Umstand denken, der meine Schuld bewiesen hätte. Ich selbst
Weitere Kostenlose Bücher