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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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seines dicken Mantels fröstelte.
    »Der Tote ist mir anfangs immer wieder im Kopf umgegangen«, sagte ich. »Aber dann habe ich ihn vergessen. Er war tot, und ich kannte ihn nicht, und sein Tod schien mir keinerlei Bedeutung für mich zu haben. Jetzt allerdings ...«
    Ich drehte mich zu Hanns herum und klopfte ihm mit der Faust auf die Brust.
    »Hat sich denn schon ein Angehöriger gemeldet?«
    »Nicht daß ich wüßte; jedenfalls nicht bei mir. Vielleicht bei Hauptmann Seis auf der Burg.«
    Ich dachte an das Siegel und die zerbrochenen Tonscherben, die der Stadtknecht in der Ledertasche des Toten gefunden hatte.
    »Vermißt jemand einen Schreiber?« fragte ich.
    Er riß die Augen auf.
    »Wieso denn?« rief er.
    »Der Tote hatte ein Siegel bei sich wie ein Schreiber.«
    »Niemand hat mich darauf angesprochen«, sagte er. »Ich habe das noch gar nicht gewußt; ich wußte nur, daß man einen Ertrunkenen aus dem Wasser gefischt hat.« Er machte ein ärgerliches Gesicht, als ob er sich jetzt über die Schlamperei der Stadtwache mehr entrüstete als über die Todesfälle selbst.
    »Wir sollten uns die Sache näher ansehen«, sagte ich. »Ich hätte mir die Sache schon viel früher näher ansehen sollen. Begleitest du mich zum Kapuzinertor? Ich muß mit den Torwächtern sprechen.«
    Er nickte.
    »Wenn du mir auf dem Weg dorthin mitteilst, worauf du eigentlich aus bist ... Ich fühle mich mehr und mehr im Dunkeln.«
    »Ich auch«, murmelte ich so leise, daß er es nicht hörte. Er drehte sich zum Eingang des Zunfthauses um und schniefte. Ich starrte gleich ihm auf die geschlossenen Türflügel. Ich schauderte bei dem Gedanken an den toten Mann, der dahinter aufgebahrt lag.
    Der Wappner, der müßig vor dem Eingang in die untere Turmkammer lümmelte, richtete sich auf, als er uns herankommen sah und schließlich den Stadtkämmerer erkannte. Er trat uns in den Weg und grüßte höflich. Ich sah ihm in die Augen und erkannte, daß er vor Schreck und Nervosität beinahe schielte. Das schlechte Gewissen strahlte von ihm aus, aber ich hielt mich nicht mit den Gedanken auf, was daran schuld sein mochte. Vielleicht war er kurz davor gewesen einzudösen, und wir hatten ihn aufgeschreckt.
    Altdorfer grüßte zurück und blieb stehen, aber ich ließ mich nicht aufhalten. Ich murmelte eine Frage nach der Anwesenheit des Wachführers und wartete nicht erst auf die Antwort. Ich war in Eile und sorgte mich darum, was ich noch alles sträflich unterlassen haben mochte, und ich hatte keine Zeit für Höflichkeiten. Altdorfer folgte mir auf dem Fuß, und der junge Stadtknecht flatterte uns unglücklich hinterher, als ich auf die Tür zutrat und sie entschlossen öffnete.
    Es waren drei Männer in der engen, dunklen Stube, und sie fuhren erschrocken auseinander, als das Licht von der Türöffnung auf sie fiel. Eine junge Frau mit schmutzigen Haaren streifte hastig ihren Rock über die Oberschenkel hinunter und versuchte, mit dem schäbigen Vorderteil ihres Kleids ihre nackten Brüste zu bedecken. Sie hatten eine Dirne bei sich in der Turmkammer. Einer der Männer warf einen Blick voll lodernden Zorns auf uns; ich erkannte ihn als den Offizier, der auch bei der Bergung des Toten am Freitag vor Ort gewesen war. Bevor er etwas sagen konnte, piepste der junge Kerl, den sie draußen als Aufpasser abgestellt hatten: »Der Herr Stadtkämmerer ist hier!«
    Der Wachführer zog so hart die Nase hinauf, daß es sich anhörte, als ob er knurrte. Sein Gesicht lief feuerrot an. Er schluckte, dann machte er eine knappe Verneigung. Die anderen beiden Männer versuchten, in den Boden zu sinken; das Mädchen drückte sich in die Ecke und warf einen halb ängstlichen, halb ärgerlichen Blick zu uns herüber. Wir hatten ihr soeben ein Geschäft verpatzt.
    »Was ist denn hier los?« fragte Hanns Altdorf er scharf.
    Die beiden einfachen Wappner räusperten sich, während ihr Anführer es vorzog, den Blick in die Ferne zu richten und sich die Antwort zu ersparen. Ich drehte mich halb zu Altdorfer um und sagte: »Es ist schon in Ordnung, Hanns.«
    Altdorfer zuckte unzufrieden mit den Schultern, erwiderte aber nichts mehr. Ich deutete auf die Dirne und sagte: »Verschwinde hier.«
    Sie zog die Oberlippe verächtlich hoch, raffte sich aber auf und schritt wie eine Königin an uns vorbei. Als sie an mir vorbeikam, ließ sie das Oberteil ihres Kleides sinken und streifte mit einer bloßen Brust meinen Unterarm, dann kicherte sie höhnisch und lief nach draußen. Ich

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