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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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glaubte es besser zu wissen, aber ich schwieg. Nach einem Moment dieses Schweigens sah er sich gezwungen, weiterzusprechen.
    »Er war schon alt«, sagte er abwesend. »Ich habe gehört, wie er des Nachts hustete. Vielleicht hat ihn ein Schlag getroffen.« Er warf mir einen erneuten Blick zu, der bewies, daß er selbst nicht an seine Worte glaubte.
    »Ertrunken«, murmelte Hanns Altdorf er. Ich sah, wie sich ein paar der bleichen Gesichter um uns herum verschlossen. Ich dachte bei mir: Ein Mann, der sein ganzes Leben auf dem Wasser zugebracht hat, ertrinkt nicht so leicht. Nicht einmal, wenn er so besoffen ist wie ein ganzer Trupp Landsknechte. Ich sog heftig die Luft ein und drehte mich abrupt um. Ich hatte den dringenden Wunsch, den düsteren Raum zu verlassen. Dann sah ich die Füße, die nackt und mit blauen Zehennägeln aus der Hose ragten. Ich trat nochmals auf den Toten zu und sah sie mir näher an. Unwillkürlich folgte mir der Blick des Sprechers.
    Ich faßte vorsichtig an die ausgefranste Öffnung eines Hosenbeins und schob den nassen Stoff über das Schienbein zurück. Knapp über den Knöcheln war die Haut an der Außenseite des Beins wundgescheuert und aufgerissen. Die Stelle war so weiß wie der übrige Körper, weil das Wasser alles Blut herausgewaschen hatte, aber man konnte die Verletzung doch deutlich sehen. Ich schob das andere Hosenbein hoch und sah die gleichen Aufschürfungen auf der dort außenliegenden Seite. Ich biß die Zähne zusammen und blickte hoch.
    Der Sprecher der Flößer sah mich fragend an. Als ich nichts sagte, wanderte sein Blick zwischen den Füßen des Toten und mir hin und her. Ich nickte ihm zu.
    »Ich werde mich wieder an Euch wenden«, sagte ich, ohne mein Verhalten zu erklären. Er nickte langsam und ratlos, mit schmalen Lippen und ohne jede Freundlichkeit in seinen Zügen. Ich schritt eilig hinaus, Hanns Altdorf er im Gefolge. Das Licht draußen war düster und neblig, aber es blendete mich dennoch. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte. Ich spürte eine Übelkeit, daß ich mich hätte übergeben mögen, aber es war eine Übelkeit, die aus meiner Seele kam und nicht aus meinem Bauch. Der Mann war tot; ohne mich würde er noch leben.
    »Ich hatte ihn beauftragt, das Reckel-Haus zu beobachten«, erklärte ich Altdorfer. »Noch gestern teilte er mir mit, daß er einen weiteren Beobachter entdeckt habe. Heute ist er tot.«
    »Was hast du an seinen Beinen gesehen?«
    »Die Spuren eines Stricks, den das Wasser oder die Kette der Flöße heruntergezerrt haben. Ein Strick, mit dem seine Beine zusammengebunden waren.«
    »Glaubst du, man hat ihn ...?«
    »Ertränkt«, sagte ich. »So wie sie damals dieses Bürgermädchen in Straubing ertränkt haben, weil der Sohn des Herzogs sie heimlich geheiratet hatte. Das glaube ich. Aber warum? Was hat er gesehen oder gehört, das sein Todesurteil besiegelte?« Ich hieb mir mit der Faust in die andere Hand. »Wenn ich ihn nicht angeworben hätte, wäre er noch am Leben.«
    Altdorfer sah mich an. Ich erwartete, daß er sagen würde: Du kannst nichts dafür; aber statt dessen fragte er: »Weißt du, wer der andere Beobachter ist?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    Hanns Altdorfer schüttelte den Kopf, diesmal deutlicher. Er seufzte. »Mir wird bange«, sagte er schlicht. »Als wir die Tote in der Kirche fanden, machte ich mir Sorgen. Jetzt habe ich wirkliche Angst.«
    Ich blickte ihn an. Ich dachte nach; über das blasse Gesicht des Toten im Versammlungsraum des Zunfthauses schob sich unvermittelt ein anderes Gesicht, aufgeschwemmt und entstellt. Über die blinkenden Münzen auf den Lidern schoben sich leergefressene Augenhöhlen. Ich sah Knöchel, in deren aufgedunsenes Fleisch tiefe Rillen gegraben waren.
    »Um Gottes willen«, stieß ich hervor.
    »Was hast du?«
    Ich dachte an einen weiteren Strick um zwei Fußgelenke; an eine unscheinbare Delle unter einem Wirbel nassen, schwarzen Haares.
    »Peter?«
    »Der Mann, den sie am Freitag aus dem Wasser gezogen haben. Ich war zufällig bei der Bergung dabei.«
    »Ich habe davon gehört.«
    »Ich sah eine Schlinge um seine Beine, mit der man ihn wahrscheinlich gefesselt hatte. Und daß sein Schädel eingeschlagen war und die Männer am Wehr der Vermutung, diese Verletzung sei durch sein Anschwemmen ans Wehr geschehen, nicht viel Glauben geschenkt haben.«
    Er hob die Schultern, aber der Blick in seinen Augen zeigte eher Entsetzen als Nichtbegreifen. Mir wurde klar, daß er trotz

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