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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Wappner sagte ich: »Du kennst das Siegel, nicht wahr?«
    Er schnaubte und nickte.
    »Es ist das des Richters«, sagte er.
    Was hatte ich erwartet? Ich wußte es nicht – aber nicht das, soviel war sicher. Ich fragte: »Was jetzt?«
    »Verdammt, daß der Richter in Burghausen festsitzt.
    Ich muß unbedingt mit ihm sprechen. Ich möchte wissen, warum er mir nichts davon gesagt hat, daß einer seiner Schreiber fehlt.«
    Ich gab ihm keine Antwort. Mir wurde klar, daß ich damit gerechnet hatte, daß uns eine nähere Untersuchung des Toten oder seiner Hinterlassenschaft weiterhelfen würde; statt dessen standen wir vor einer neuen Ungereimtheit. Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen. Altdorfer betrachtete mich und sagte: »Du hast fest geglaubt, der Tote würde uns weiterbringen, nicht wahr?«
    Ich nickte stumm. Er seufzte.
    »Ich glaubte es beinahe auch schon. Du warst sehr überzeugend.«
    »Das Gefühl, daß er wichtig wäre, kam über mich wie eine Eingebung«, sagte ich. »Ich wäre besser bei dem geblieben, was man sehen kann, anstatt einem Gefühl nachzulaufen.«
    Altdorfer schniefte und sagte nichts mehr. Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, durch die ruhige Neustadt, an deren nördlichem Ende der Geruch der Malztennen zwischen den Hausfassaden lag und im Nieselregen von klebriger Süße war wie verrottendes Heu. Wir waren schon fast an der Einmündung der Rosgasse, an der nur noch der Name an die dichten Bestände von Schilf und Rosgras erinnerte, die vor der Stadterweiterung hier gewuchert hatten, als Altdorfer plötzlich sagte: »In Wahrheit bist du nicht überzeugt davon, daß der tote Schreiber für uns keine Rolle spielt; habe ich recht?«
    »Ja«, antwortete ich widerwillig. »Aber ich kann ihn nirgends unterbringen. Ich weiß noch nicht einmal, ob es uns geholfen hätte, wenn der Leichnam noch hier gelegen hätte, mit einem Schild um den Hals, wie und warum er ums Leben gekommen ist.«
    Altdorfer wog das Siegel in der Hand.
    »Vielleicht sollten wir mit den Schreibern des Richters sprechen«, überlegte er und fügte in einem Anfall von Sarkasmus hinzu: »Jedenfalls mit denen, die noch am Leben sind.«
    »Später«, sagte ich. »Ich habe genug Zeit vertan mit dieser unglücklichen Wasserleiche; ich muß zur Baustelle.«
    Er zuckte mit den Schultern und sah mich unschlüssig an. Ich klopfte ihm auf die Schulter und verließ ihn, am Anfang der Grasgasse stehend, die zum Rathaus hin führte. Er blickte mit gerunzelter Stirn auf das Siegel nieder, das er in seiner Hand hielt, und machte ein Gesicht, als könne es sich plötzlich in einen Hundekötel verwandeln.
    Ich marschierte bis zur Pfarrgasse, die an der Pfarrschule vorbei zur Baustelle der Kirche führte; ich war überrascht, als ich sie von einigen Dutzend Menschen bevölkert sah, die wie ich in Richtung Altstadt strebten. Meine überreizte Phantasie veranlaßte mich sofort zu dem Gedanken: Es ist wieder etwas passiert!, aber die Leute unterhielten sich und schienen es nicht besonders eilig zu haben. Man hatte eher den Eindruck, daß es dort, wo sie hinwollten, etwas zu sehen gäbe, das nicht unbedingt von eminenter Wichtigkeit war, das man aber dennoch nicht versäumen sollte. Ich überholte die meisten von ihnen auf dem Weg zur Kirche; als ich um die Ecke bog, hinter der sich der Kirchhof erstreckte und dahinter der gewaltige Rundbogen des Chorhauses erhob, wurde mir klar, daß wir alle dasselbe Ziel hatten: die Baustelle des Domes.
    Es waren nicht so viele Menschen, daß man es für einen Aufstand hätte halten können; allenfalls ein- oder zweihundert, und sie unterhielten sich friedlich und wandten nur ab und zu den Kopf und streckten die Hälse, um zur Kirche hinübersehen zu können. Weder auf dem Dach noch auf dem Turmgerüst, noch sonst irgendwo auf der Baustelle sah ich auch nur einen Arbeiter. Ganz offensichtlich wurde auch heute nicht gearbeitet; nur die Zuschauer waren anwesend. Sie standen oder gingen in dem engen Platz zwischen den Häusern und Bauhütten und der wuchtigen Fassade des Langschiffs umher. Ich drängte mich durch sie hindurch, um zur Kirche selbst zu gelangen, und stand plötzlich vor dem quergehaltenen Spieß eines Wappners, der mich am Weitergehen hinderte. Ich sah mich um: Zusammen mit seinen Kameraden bildete er einen engen Ring um die Baustelle und ließ niemanden passieren.
    »Die Baustelle darf nicht betreten werden«, sagte er nicht unfreundlich.
    »Ich möchte mit einem der Steinmetze

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