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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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erkannte ihn nicht als den, der er war; doch ich spürte die Grabeskälte, die schon von ihm ausging, und ich lebte nach kurzer Zeit in einer namenlosen, lähmenden, schrecklichen Angst, die mir den Schlaf raubte und mich so reizbar und aufbrausend machte, daß ich jedermann zur Last wurde. Selbst meine Mutter, die mir trotz meiner Abneigung gegen sie immer mit Liebe begegnet war, wandte sich irritiert von mir ab, und meinem Vater begann zu seinen anderen Nöten auch noch die Sorge um mich die Stirn zu furchen.«
    »Habt Ihr mit niemandem gesprochen?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
    »Sehr bald redeten die Männer davon, daß man die Verbannten zurückholen solle«, sagte er. »Natürlich war es Christian Leutgebs Idee. Er schwärmte davon, daß die ganze Stadt sich ihnen danach anschließen würde wie ein Mann. Er hatte herausgefunden, wo sich einige der Familien aufhielten, und vertraute darauf, daß diese den Plan an die anderen weitergeben würden. ›Wenn es sich unter den Verbannten herumspricht, dann wird es auch bis zum Herzog vordringen‹, murmelte Heinrich Eberlein. Niemand hörte auf ihn, denn in diesem Moment begann Christian Leutgeb mit lauter Stimme zu erklären, welchen Plan er sich schon zurechtgelegt habe, um das Wort von der Rückkehr zu verbreiten. Niemand außer mir; ich saß neben ihm in einer Ecke, wie ich es meistens tat, weil ich mich in der Nähe seines robusten Körpers geborgen fühlte, und seine leisen Worte ließen meinen Mund vor Furcht austrocknen. Er brauchte mir nicht zu erklären, was die Konsequenz dessen war, was er befürchtete: Er hatte kaum geendet, als ich schon zu hören glaubte, wie harte Fäuste gegen unsere Tür pochten und meinen Vater aus dem Hause schleiften.«
    »Habt Ihr denn nicht wenigstens hinterher versucht, auf Euren Vater Einfluß zu nehmen?«
    »Nein«, sagte er kurz. »Er war mein Vater; ich wäre niemals auf die Idee gekommen, ihm einen Rat zu erteilen.«
    »Was geschah danach?«
    Er beugte sich nach vorne und legte die Hände flach auf den Tisch. Als er zu sprechen ansetzen wollte, öffnete sich die Tür, und die junge Frau schob sich herein mit einem Krug und zwei Bechern. Sie stellte sie wortlos ab; Reckel streckte eine Hand aus und fuhr ihr sanft über den Arm. Sie lächelte ihn an. Mir schenkte sie einen kalten Blick, dann verließ sie das Zimmer ebenso schweigend, wie sie gekommen war. Reckel seufzte, packte den Krug und schenkte in beide Becher ein. Der Duft von gewürztem Wein verbreitete sich. Er schob mir einen Becher zu, hob den seinen auf und trank einen tiefen Schluck. Ich zögerte; ich fragte mich, was er mit dieser Geste bezweckte. Aber es war nichts dahinter außer der Höflichkeit des Gastgebers, und ganz gewiß hatte es nichts mit plötzlicher Sympathie für mich zu tun. Der Umstand, daß er nicht gewartet hatte, bis ich trank, bewies es mir zur Genüge. Ich führte den Becher zum Mund und trank ebenfalls. Der Wein war mir zu süß.
    »Ich werde es kurz machen«, sagte der alte Mann. »Leutgeb verließ die Stadt und war zwei oder drei Wochen unterwegs. Auf dieser Reise schien er mit den wichtigsten der Verbannten zusammengetroffen zu sein, denn als er wiederkehrte und sich zu meinem Vater in die Stube setzte, strahlte er über das ganze Gesicht und sagte nur: ›Sie kommen zurück, Dietrich. Sie kommen. ‹
    ›Wann?‹ fragte mein Vater. Ich erinnere mich, daß sein Antlitz blaß war.
    ›In der Nacht auf den Karfreitage.‹
    Danach wurden nicht mehr viele Gespräche geführt; sie hielten es in diesem Stadium für äußerst gefährlich zusammenzukommen. Außerdem gab es nichts mehr zu bereden. Leutgeb hatte die Situation abgesteckt, und obwohl man den meisten Gesichtern ansehen konnte, daß er sie überrollt hatte, begehrte dennoch keiner gegen den Plan auf. Noch nicht einmal Heinrich Eberlein opponierte dagegen, obwohl er bei jedem der selten gewordenen Treffen krank war vor Angst. Ich möchte nicht wissen, ob nicht auch ein paar von den anderen in der Kirche Kerzen anzündeten und beteten, Leutgeb möge der Schlag treffen oder der Herzog ihn letztlich doch aus der Stadt verbannen; oder es möge endlich jemand den Mut finden, aufzustehen und zu sagen: Hören wir endlich auf damit! Wenn es so war, erhörte sie der Herr nicht.«
    Ich sah auf, aber er bemerkte es nicht; sein Blick war wieder in die Ferne gerichtet, als könne er in einer der Zimmerecken ein Fresko sehen, das die Ereignisse von damals mit schrecklicher Deutlichkeit

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