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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Vater beibringen sollte. Nach einiger Zeit klang der Schock ab, und ich besann mich wieder auf die geplante Verschwörung, und ich bekam wirkliche Todesangst.«
    »Der Höfling«, rief ich. »Wenn er etwas erfahren sollte ...«
    »Exakt«, sagte er wie ein Lehrer, der sich über eine unerwartet kluge Antwort eines seiner Schüler freut. »Ich wußte, er würde nicht zögern, die Pläne dem Herzog zu verraten; er hatte gar keine Veranlassung dazu, die Verschwörer zu decken. Und ich wußte, daß meine Mutter naiv genug sein konnte, ihm davon zu erzählen. Sie wußte nicht alles, aber sie wußte genug, daß ein halbwegs intelligenter Zuhörer sich den Rest zusammenreimen konnte.«
    »Was passierte?« flüsterte ich.
    »Sie war noch naiver, als ich dachte«, sagte er zornig.
    Ich starrte ihn an, und er lehnte sich zurück und strich sich mit der Hand über den Schädel.
    »Ich brachte es nicht übers Herz, meinem Vater davon zu erzählen«, erklärte er. »Ich hatte eine einigermaßen zutreffende Vorstellung, was passieren konnte, aber ich fand keine Worte, um meinem Vater aufzuklären. Ich war erst zehn Jahre alt und vielleicht reif für mein Alter, aber ich war noch ein Kind.«
    Seine Stimme klang plötzlich gequält, aber er rang sich die Kraft ab weiterzusprechen.
    »Ich wußte noch nicht einmal, was genau es bedeutete, daß meine Mutter einen anderen Mann zu sich in die Kammer ließ; mir war nur klar, daß sie auf irgendeine Weise meinen Vater, meine Familie, mich selbst betrog. Ich erwog wieder und wieder, zu meinem Vater zu gehen und ihm zu sagen: ›Mutter hat einen anderen Mann.‹ Aber ich war sicher, daß ich bei dem Versuch vor Scham sterben würde, und wenn nicht ich, dann mein Vater, und so wälzte ich mich stöhnend auf dem Dachboden zwischen den Getreidesäcken hin und her und brannte ebenfalls. Am Nachmittag des Gründonnerstags trafen sich die Männer zum erstenmal seit mindestens drei Wochen wieder bei meinem Vater. Ich war diesmal nicht zugelassen worden, aber ich wußte einen Platz in der Küche, von dem aus man jedes Wort hören konnte, das in der Stube gesprochen wurde. Leutgeb erklärte, daß diejenigen der Verbannten, die zurückkommen wollten, sich nach Einbruch der Dunkelheit an einer bestimmten Stelle außerhalb der Stadtmauer einfinden würden. Die kräftigsten unter den Anwesenden sollten sie innerhalb der Mauer mit Leitern und Seilen erwarten und ihnen zur Stadt hereinhelfen. Ich war alleine in der Küche; Vater hatte das Gesinde fortgeschickt, um das Treffen ungestört stattfinden zu lassen. Es war warm dort, und die Stille, in der ich angestrengt zuhörte, schläferte mich ein. Ich schrak hoch, als ich Bewegungen und Stimmen hörte, und als ich zwischen all dem aufgeregten Geschnatter die Stimme meines Großvaters vernahm, wußte ich, daß ich längere Zeit geschlafen hatte: Sie hatten die Verbannten bereits zur Stadt hereingeholt, und sie befanden sich alle in der Stube im Haus meines Vaters. Ich kann Euch die Angst nicht beschreiben, die ich fühlte. Als stünde es schwarz auf weiß vor mir, wußte ich plötzlich, daß die Verschwörung in einer Katastrophe enden würde. Ich wußte, daß der Tod unsichtbar zwischen den Männern in der Stube stand, nur durch eine Mauer von mir getrennt. Ich spürte, wie sich all meine Haare aufstellten. Kennt Ihr ein solches Angstgefühl, daß Ihr nicht stillstehen könnt? Man muß sich bewegen; es ist wie bei unerträglichen Zahnschmerzen, aber wenn man im Griff dieser Angst ist, wünscht man sich, es wären statt dessen Zahnschmerzen, und meinetwegen zehnmal so schlimme. Ich streife durch das ruhige Haus, ohne etwas von meiner Umgebung zu sehen, durch helle und durch dunkle Zimmer, mit weitaufgerissenen Augen und leise stöhnend, die Angst läßt meinen Magen revoltieren und meine Blase jucken. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergeht; bald weiß ich nicht einmal mehr, weshalb ich diese Angst verspüre. Sie ist allmächtig, sie ist ausschließlich, und ich weine, ohne zu schluchzen, und gehe, ohne zu stolpern, ein totenblasses Kind, in dessen Ohren das namenlose Entsetzen gellt. Als ich wieder zu mir komme, stehe ich vor der Tür zur Küche und sehe meine Mutter mit dem fremden Mann, von dem ich weiß, daß sie ihn mehr liebt als meinen Vater. Sie haben mich nicht kommen gehört. Ich sehe, wie der Mann sein Ohr an die Stelle hält, die meine Mutter ihm gezeigt hat, und wie seine Augen sich weiten von dem, was er da hört. Es ist die Stelle, an der vorhin

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