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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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lag. Ich stand neben Hanns Altdorfer, dessen Atem schwer ging: Er hatte dem Richter aus der Grube geholfen, der den Aufstieg nur mühsam bewältigt hatte. Hanns beugte sich zu mir und sagte: »Ich bin dir etwas schuldig.«
    Ich nickte. Er lächelte ohne Freude, aber er blinzelte mir zu. Sein Gesicht war grau vor Erschöpfung.
    »Was passiert nun?« brummte Moniwid. »Laßt einmal einen Geistesblitz erstrahlen, guter Kaufmann.« Sein Ton war beißend.
    »Wir müssen die Leiche hier heraus schaffen«, sagte ich. »Das werde ich mit meinen Dienstboten besorgen.«
    Der Kanzler bewegte sich unruhig, und ich fügte an: »Ich werde sie danach mit einem Auftrag aus der Stadt schicken. Bis sie zurückkommen, ist die Sache vorbei; so oder so.«
    Doktor Mair nickte. Ich überlegte einen Moment, dann sprach ich weiter: »Ihr müßt die Erklärung für den ganzen Aufruhr liefern. Was werdet Ihr den Wappnern und den Handwerkern mitteilen?«
    »Natürlich nichts«, sagte der Kanzler erstaunt.
    »Damit riskiert Ihr, daß sich Klatsch verbreitet. Etwas werdet Ihr Euch schon ausdenken müssen.«
    Er sah mich an und zuckte mit den Schultern. Unerwarteterweise mischte sich Richter Girigel ein.
    »Er hat recht«, sagte er. »Wir werden den Hauptmann kommen lassen und ihm mitteilen, daß wir auf die Gebeine eines vermutlichen Heiligen gestoßen sind, die wir bergen und untersuchen lassen wollen. Natürlich, ohne ihn in die Grube sehen zu lassen. Und natürlich mit der Auflage, die Sache geheim zu halten. Er wird es zumindest seinem Leutnant mitteilen, und auf diese Weise streut sich das falsche Gerücht ganz von alleine aus.«
    »Nein«, sagte ich. »Gebeine sind mir zu nahe an der Wahrheit. Wie wäre es damit, Eurem Hauptmann mitzuteilen, man sei auf einen vergrabenen Kirchenschatz gestoßen? Meinetwegen auf eine Truhe, die man vor dem Stadtbrand vor hundertdreißig Jahren in Sicherheit bringen wollte und deren Inhalt so stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, daß Ihr sie mir übergeben habt, um den Wert eingehend zu überprüfen.«
    »Wenn Ihr denkt, das sei besser …«, brummte der Richter. Hanns Altdorfer und der Kanzler sahen sich an. Doktor Mair hob die Schultern.
    »Ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit, darüber nachzudenken«, sagte er. Ich nickte. Er rieb sich heftig mit der Hand über das Kinn, dann stieß er hervor: »Nun gut. Herr Notarius, würdet Ihr bitte den Hauptmann verständigen?«
    Hanns Altdorfer nickte, nahm die längere der restlichen Fackeln und schritt vorsichtig um den Steinhaufen am Rand der Grube herum. Die verbliebene Fackel begann plötzlich zu spucken und verlosch beinahe, ehe der polnische Ritter sie mit einer raschen Bewegung durch die Luft wieder ins Leben zurückrief. Keiner von uns sprach mehr; es blieb nichts mehr zu sagen. Ich schaute noch einmal in die gähnende Schwärze des Schachtes hinunter. Mein Gehirn war leer, und die Worte von Gerechtigkeit und Wiedergutmachung hallten schal darin wider. Was sich im Schacht befand, war nur die Leiche eines polnischen Edelmädchens, das weit entfernt von seiner Heimat einen grausigen Tod gefunden hatte und jetzt von Lehm und Dreck verklumpt erstarrte; ich konnte weder sie noch die Toten der Vergangenheit jemals wieder lebendig machen.

2
    W enige Augenblicke später kehrte Hanns Altdorf er in Begleitung des Hauptmannes der Wappner zurück. Der gedrungene Mann hielt seine eigene Fackel in die Höhe und blickte sich ständig um, als wäre er von Feinden umgeben; sein Helm warf matte Reflexe und spiegelte das Fackellicht wider. Vor der Grube angekommen, straffte sich seine Haltung, und er machte eine exakte Ehrenbezeigung vor dem Richter und dem Kanzler. Den Polen ignorierte er, ebenso wie mich. Danach sah er von einem zum anderen; sein Gesicht wirkte gelassen, aber seine Haltung war angespannt. Die Anwesenheit der drei angesehenen Männer machte ihn unsicher.
    »Ich danke Euch für Euer Kommen, Hauptmann Schermer«, sagte der Kanzler, als sonst niemand das Wort ergriff. Der Hauptmann nickte.
    »Ihr habt Euch sicher gefragt, weshalb wir Euch und Eure Männer baten, die Kirche abzuriegeln«, fuhr Doktor Mair fort; und dann begann er, dem Hauptmann der Vilshofener Wappner das Garn aufzubinden, das wir zuvor gesponnen hatten. Ich beobachtete den Hauptmann: den Teil seines Gesichts, der unter dem weiten Helmrand zu sehen war. Er blähte die Nüstern und öffnete seinen Mund, als wolle er möglichst viele Sinnesorgane auftun, um die Nachricht zu empfangen.

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