Der Tuchhändler (German Edition)
sicherlich wieder so eine Eigenmächtigkeit von Hauptmann Seis auf der Burg; er glaubt neuerdings, alle Wappner in Landshut stünden unter seinem Befehl. Ich muß den Kanzler bitten, ihn zurückzupfeifen. Weswegen wurden die Kerle verhaftet?«
»Ich weiß es nicht«, log ich.
»Was haben sie denn getan?«
»Auch das weiß ich nicht.«
Er schüttelte den Kopf. Einen Augenblick lang musterte er mich erstaunt. Ich erkannte, daß er sich fragte, ob ich im Fieber redete.
»Glaube mir einfach«, sagte ich eindringlich.
»Wie bist du denn auf die Kerle gekommen?« fragte er nach einer längeren Pause. »Wer sind sie überhaupt?«
»Fremde«, erklärte ich. »Aber man hat mir gesagt, sie könnten etwas gesehen haben.«
»Wer hat das gesagt? Und was sollen sie gesehen haben?«
»Hanns«, stöhnte ich. »Ich weiß es doch nicht. Ich habe einfach meine Ohren offengehalten. Und es ist der einzige Hinweis, den wir haben.«
»Du hast mir noch nichts davon erzählt.«
»Weil ich es erst seit gestern weiß.«
Er sah mich weiterhin mit seinem nachdenklich erstaunten Blick an. Unbewußt griff er nach etwas, das auf dem Tisch lag, und drehte es in seinen Fingern hin und her. Es war das richterliche Siegel von Ernst Wechsler.
»Ist der Richter schon zurück?« fragte ich ihn, und er zuckte zusammen.
»Wie? Nein, aber es ist eine weitere Brieftaube eingetroffen; er schreibt, er habe ziemlichen Ärger in Burghausen und außerdem wären die Straßen im Moment kaum passierbar. Mehr stand nicht in seinem Brief. Er scheint stark unter Druck zu stehen.«
Er holte tief Atem und ließ ihn mit einem Seufzer wieder entweichen.
»Bist du wirklich überzeugt, daß du auf der richtigen Spur bist? Wir haben kaum mehr Zeit für Fehler.«
»Ich habe keine andere Spur«, wiederholte ich.
Er legte das Siegel wieder beiseite und beugte sich zu mir herüber.
»Es ist eine Verzweiflungstat, nicht wahr?« fragte er. »Du greifst nach jedem Strohhalm.«
Ich erwiderte nichts, und er seufzte nochmals.
»Ich hätte dich nicht mit hineinziehen sollen«, sagte er traurig. »Es tut mir leid; du hast keine Chance. Wir werden den Mord niemals aufklären, und das Unheil wird seinen Lauf nehmen.«
»Was ist denn los?« fragte ich ihn. »Warum gibst du jetzt auf?«
»Es wächst alles über mich hinaus«, gestand er und stützte den Kopf in beide Hände. »Ich habe seit Tagen kaum geschlafen. Trennbeck hat mir eben erzählt, daß seine Frau nicht mehr mit ihm spricht und seine Kinder ihn merkwürdig ansehen, weil er kaum noch zu Hause ist und wenn, sie nur mehr anschreit. Heute morgen habe ich deinen Sohn getroffen und ...«
»Du hast Daniel getroffen?«
»Er hat eigentlich mich getroffen. Er wartete vor dem Rathaus auf mich. Ich hätte ihn beinahe nicht wiedererkannt: Er ist ein Mann geworden. Er fragte mich, ob ich wüßte, was mir dir los sei; er hätte dich besucht und du wärst ihm seltsam und verstört vorgekommen.«
»Er fand es nur seltsam, daß wir uns nicht gestritten haben«, brummte ich, aber es gab mir einen neuerlichen Stich. Wie auch immer – ich hätte Daniel nicht zugetraut, daß er sich bei Hanns Altdorfer nach meinem Befinden erkundigen würde.
»Ich konnte ihm ja nicht gut sagen, was dich bedrückt; die Wahrheit nicht und noch nicht einmal die Version der Geschichte, die du deinen Bediensteten erzählt hast. Ich habe gesagt, ich wüßte nicht, was dir fehle, und er zog ab. Ich glaube nicht, daß er es mir abgenommen hat.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Erstaunlich«, sagte ich.
»Was?«
»Daß Daniel sich Sorgen um mich macht.«
»Er ist dein Sohn, Peter.«
»Er hat nur seine Kirche im Sinn.«
Jetzt schüttelte Altdorfer den Kopf.
»Er ist nur so unfähig wie du, jemandem seine Liebe zu schenken oder auch nur zu vertrauen.«
»Was sagst du da?«
»Nach Marias Tod hast du dich zurückgezogen. Du wolltest nie wieder jemanden anderen lieben, weil du befürchtest hast, er würde dich auf ebenso schmerzliche Weise auch wieder verlassen. Mit Daniel ist es genauso. «
Ich starrte ihn sprachlos an. Ich hatte alles erwartet, nur das nicht. Das Gespräch nahm eine Wendung, die mir nicht gefiel. Trotzdem konnte ich den leisen Vorwurf, den ich aus seiner Stimme hörte, nicht ignorieren.
»Ich hatte ... dich«, sagte ich leise. »Und meine Knechte. Mein Geschäft. Meinen Verwalter.«
Altdorfer sah mich traurig an.
»Wie oft haben wir uns in den letzten Jahren gesehen? Einmal im Jahr? Und das, obwohl du nur eine halbe Stunde
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