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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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außerhalb der Stadt lebst.«
    »Tatsächlich?« fragte ich. Aber ich wußte, daß er recht hatte. Wie erstaunt war ich gewesen, als ich ihn in der Kirche gesehen hatte, in der Nacht vor Allerheiligen. Ich hatte sein müdes Aussehen seiner Arbeit zugeschrieben, aber es war nur das Alter gewesen, das seit unserer letzten Begegnung an ihm gearbeitet hatte. Ich hatte wohl erwartet, er sähe noch immer aus wie in den Tagen vor Marias Tod; und mir wurde klar, wieviel Zeit seither vergangen war, ohne daß ich meine Umwelt bewußt wahrgenommen hatte. Ich hatte die Zeit vergeudet.
    Plötzlich wollte ich nichts mehr darüber hören.
    »Wir müssen uns um dringendere Dinge kümmern«, sagte ich.
    »Wie du willst«, seufzte Altdorf er nach einer kleinen Pause. »Nun – was hast du vor?«
    »Ich möchte, daß du die Verhafteten auf freien Fuß setzt.«
    »Ich weiß noch nicht einmal, wer sie sind und was sie verbrochen haben – und trotzdem verlangst du von mir, ich soll sie freilassen?«
    »Ja. Es ist wichtig.«
    »Du solltest es vergessen«, sagte er.
    »Hanns, ich muß mit diesen Leuten sprechen.«
    »Ich kann dir einen Passierschein für das Gefängnis geben«, sagte er. »Dann kannst du mit ihnen sprechen.«
    »Sie werden nicht reden. Ich muß sie freibekommen.«
    Er schüttelte nachdrücklich den Kopf.
    »Das ist absurd.«
    Auch das hätte ich wissen müssen, dachte ich mir. Seine Gesinnung war zu aufrecht, als daß er sich auf eine solche Geschichte eingelassen hätte.
    »Hanns«, sagte ich nochmals eindringlich, »bitte; verlaß dich darauf, daß ich nichts Unrechtes tue. Du kennst mich doch.«
    Er preßte die Kiefer aufeinander, daß seine Wangenmuskeln hervortraten. Sein Blick ging durch mich hindurch, bevor er ihn zurückholte und wieder auf mich richtete.
    »Ich könnte es nicht einmal, selbst wenn ich wollte. Wenn die Verhaftung auf Befehl von Hauptmann Seis vorgenommen wurde, hat diese Befugnis nur der Stadtoberrichter. Er ist Beamter des Herzogs; ich bin jedoch ein Bediensteter der Stadt.«
    Ich biß mir auf die Lippen. Daran hatte ich nicht gedacht. Und Richter Girigel war nicht in Landshut.
    Ich öffnete den Mund und wollte sagen: Richter Trennbeck kann die Erlaubnis erteilen; aber Trennbeck wußte noch nicht einmal über den Fall Bescheid. Girigel hatte ihn nicht eingeweiht. Für einen Moment war ich wie vor den Kopf geschlagen; diesen Umstand hätte ich berücksichtigen müssen. Der Stadtkämmerer war machtlos. Man hätte sich nun über die Prozedur der Festnahme streiten können, die auf dem Gebiet der Stadt erfolgt war, aber dazu fehlte mir die Zeit. Ich fühlte plötzlich, wie mir der Schweiß ausbrach und mein Gesicht rot anlief. Ich hatte einen groben Fehler gemacht; nicht den ersten, diesen aber zu einer Zeit, in der ich mir, wie Altdorfer gesagt hatte, keinen mehr leisten konnte.
    Ich wußte, daß es keinen Sinn hatte, Reckel mit dem Passierschein zu kommen. Er würde nur sprechen, wenn seine Freunde vor ihm standen, oder schweigen. Ich schaute hilflos auf Altdorfers Tisch hin und her, als würde mir von dort etwas zu Hilfe kommen, und sah das Siegel. Ein Gedanke sprang mich förmlich an.
    »Also gut«, entschied ich. »Laß einen deiner Schreiber den Passierschein anfertigen.«
    »Wann besuchst du die Männer?«
    »Noch heute.«
    »Soll ich mitkommen?«
    »Sie werden erst recht nicht reden, wenn der Stadtkämmerer dabei steht«, sagte ich, und er verzog das Gesicht. Dann nickte er langsam.
    »Damit hast du vielleicht recht.«
    »Ich setze dich darüber in Kenntnis, was ich erfahren habe«, versprach ich.
    »Was ist, wenn es nicht von Bedeutung ist?«
    »Dann weiß ich nicht mehr weiter«, sagte ich einfach. Er zuckte zusammen, dann erhob er sich eilig und verließ den Raum, um mit einem seiner Schreiber zu sprechen. Ich wartete, bis er draußen war, dann huschte ich um seinen Tisch herum. Unter seinen Papieren war eine kleine Truhe vergraben; ich öffnete sie und nahm des Stadtkämmerers Siegel heraus. Das Siegel des toten Schreibers nahm ich an mich und legte Altdorfers eigenes an dessen Stelle. Sie sahen sich nicht sehr ähnlich; Altdorfers Siegel war größer und aus hellerem Holz, aber für eine Weile würde es seinen Zweck tun. Und selbst wenn Altdorf er den Verlust des richterlichen Siegels bemerkte, würde er lange nicht auf den Gedanken kommen, daß ich es genommen haben könnte. Ich steckte es in meine Manteltasche und setzte mich wieder. Mein Herz klopfte bis zu meinem Hals. Als ich die

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