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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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recht hatte.
    Die Zeit war nun doch merkbar vorangerückt, als der Leichnam endlich in einem der leerstehenden Lagerräume im hinteren Teil des Hauses lag, aufgebahrt und von der Decke, in der wir sie hierher transportiert hatten, notdürftig zugedeckt. Es war eine traurige Bahre, ohne Kerzen und ohne Blumengebinde. Statt dessen hing der Geruch von Gewürzsäcken im Raum, die sich zuvor darin befunden hatten und die ich gestern hatte auslagern lassen, um Platz zu schaffen für die Stoffe aus Venedig, die ich in den nächsten Tagen erwartete. Bis dahin mußte auch die Tote ihren Platz geräumt haben. Der Verwalter brachte die beiden Knechte hinaus, um sie sogleich nach Reichenhall zu senden. Ich hatte dort ein größeres Kontingent Salz aufgekauft, dessen Bereitstellung mir vor ein paar Tagen avisiert worden war und um das sich ohnehin jemand hätte kümmern müssen. Es war ein Geschäft, in das ich mich als Zwischenhändler eingeschaltet hatte: Der eigentliche Empfänger war ein Kaufherr in Augsburg, zu dem ich das Salz transportieren ließ. Derartige Transporte waren zeitraubend und schwierig; die Stadt München besaß seit altersher das Salzstapelrecht, und dies bedeutete, daß alles zwischen Landshut und den Bergen westwärts geschaffte Salz nur in München die Isar überqueren durfte und dort erst einmal gestapelt und zum Verkauf niedergelegt werden mußte, woran die Münchner kräftig verdienten. Trotz der merkwürdigen Umstände platzten die beiden Männer fast vor Stolz, daß ich sie für diese verantwortungsvolle Aufgabe einsetzte, und waren Feuer und Flamme, sofort loszureiten. Ich selbst war überrascht über die Findigkeit meines Verwalters. Die Salzkarren würden nur langsam vorwärtskommen und eine Ewigkeit in München festhängen; vor Nikolaus waren die beiden nicht zurückzuerwarten.
    Ich blieb noch einen Moment in dem Lagerraum stehen, der unvermittelt zu einem Totenzimmer geworden war. Der Verwalter hatte die Kerze mitgenommen, aber die Dämmerung war jetzt so weit angebrochen, daß ein schwacher Lichtschimmer durch das schmale Fenster hereinfallen konnte. Er reduzierte die Gegenstände im Raum zu schemenhaften Umrissen aus Licht und Schatten. Die Tote lag unter der Decke, die ihre Gestalt zusätzlich verhüllte; alles mögliche konnte unter den rauhen Falten verborgen sein, doch zu wissen, was es wirklich war, machte diesen Umstand weniger beruhigend als vielmehr makaber. Vielleicht liegt es daran, daß kaum jemand, der sich einer zugedeckten Leiche gegenüber findet, widerstehen kann, die Decke zu lupfen und in das tote Gesicht zu blicken: der Unglauben, daß der Tod einen menschlichen Körper zu einem abstrakten, lang ausgestreckten Gebilde völliger Regungslosigkeit reduzieren kann. Auch mich drängte es in diesem Augenblick, die Decke noch einmal anzuheben; mir kam in den Sinn, daß ich noch nicht einmal ihre Gesichtszüge kannte. Ich hätte den Lehm fortwischen können, der die Hälfte ihres Antlitzes verkrustete, aber die unbewußte Zärtlichkeit, die in einer solchen Geste steckt, ließ mich erschauern, und der Drang verschwand.
    Die Männer hatten den Leichnam beinahe sanft abgelegt und die Decke darüber wieder geradegezogen. Sie hatten kein Wort mehr verloren, seit wir von meinem Hof in die Stadt hinein aufgebrochen waren; weder über den Umweg durch die Widumsgasse, über die wir uns schließlich der Kirche von hinten her näherten (wir betraten sie durch das nur von zwei Wappnern bewachte Südportal); noch über die schweigende, einsame Gestalt Hanns Altdorf ers, der am Rand der Grube stand und blicklos hinunter starrte. Sie hatten die Tote behutsam auf demselben Weg zurücktransportiert, unkenntlich in die dicke Decke gewickelt, und es schien, als würden sie eine Schlafende nach Hause tragen, so vorsichtig gingen sie mit ihr um. Zuletzt hatten sie sie auf den beiden Tischen ausgestreckt, die mein Verwalter zusammengeschoben hatte, und waren gegangen.
    Ich starrte auf ihr Werk, ihr Werk und meines, und fühlte mich schwach. Ich dachte daran, mich wieder niederzulegen und noch etwas zu schlafen, bis die Sonne vollends aufgegangen wäre. Aber ich wußte, daß ich keine Ruhe finden würde: Meine Erschöpfung war seelischer Natur, nicht körperlich, und ich hatte noch niemals schlafen können, wenn meine Seele wund war. Plötzlich freute ich mich auf das Essen, das der Verwalter mir gerichtet hatte. Ich schloß die Tür und verriegelte sie.
    Der Verwalter leistete mir bei meiner einsamen

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