Der Tuchhändler (German Edition)
einfallsreicher Peter, dachte ich voller Zynismus; dazu hättest du das Märchen mit der heimlichen Geliebten nicht erfinden dürfen. Nicht einmal der Verwalter wird dir abnehmen, daß du ihre Leiche lieblos dem Wasser übergibst. Ich hätte die beiden Knechte einfach mitnehmen und ihnen befehlen sollen, die Tote im Verborgenen zu begraben; ich hätte angeben sollen, ich täte es für den Stadtkämmerer, dem ich bei der Aufklärung eines Verbrechens helfen würde; ich hätte
– mich von Anfang an gar nicht darauf einlassen sollen
dem Kanzler und seinem famosen polnischen Rittersmann die Leiche überlassen sollen, anstatt eine derart komplizierte Geschichte zu erfinden und mich in meinen eigenen Fallstricken zu verfangen. Ich mußte erkennen, daß ich unter den gegebenen Umständen keine andere Wahl hatte, als den Vorschlag des Verwalters anzunehmen.
»Ich habe auch keine Idee«, sagte ich. »Daher denke ich, ich werde deinem Ratschlag doch folgen.«
Er verkniff sich zu sagen, daß er dies ebenfalls für das beste hielt. Seinem Gesicht war es dennoch anzusehen.
Ich seufzte und sagte: »Wie kann ich den Mann dazu zwingen, seinen Mund zu halten?«
»Ich glaube, es reicht, wenn Ihr ihn darum bittet.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen«, sagte ich düster.
Er drehte die Hände nach außen und hob die Arme, und ich winkte ab.
»Ich werde ihm vorschlagen, ihn an einem der nächsten Geschäfte zu beteiligen«, entschied ich. »Das wird zumindest vorhalten, bis das Geschäft abgewickelt ist.«
»Wenn Ihr meint«, entgegnete der Verwalter. Ich nickte und stand auf.
»Wo liegt seine Apotheke?« fragte ich.
»Schräg gegenüber dem Rathaus in der kleinen Gasse, die zur Floßlände führt.«
»Ich werde sogleich wieder aufbrechen«, seufzte ich. »Zum drittenmal hintereinander in die Stadt.«
»Wenn Ihr wollt, kann ich ebenso gut … «
Ich lächelte, und er senkte den Kopf. »Ich muß Euch nochmals an die Stofflieferung erinnern«, sagte er. Ich zog scharf den Atem ein.
»Richtig«, sagte ich. »Nun komme ich doch nicht dazu, mich selbst darum zu kümmern. Würdest du sie entgegennehmen und die Fuhrleute auszahlen? Und nachsehen lassen, ob der Holländer, der die Lieferung organisiert hat, schon wieder zurück ist?«
»Walther vom Feld? Der für den Herzog arbeitet?« »Richtig. Sein Haus ist in der Spiegelgasse.«
»Selbstverständlich, Herr Bernward.«
»Danke.«
Er zuckte mit den Schultern, und ich schob die Sitzbank mit den Kniekehlen zurück und kam hinter dem Tisch hervor. Als ich an der Tür war, drehte ich mich nochmals zu ihm um. Er sah mich an, als wollte er mir noch irgend etwas mit auf den Weg geben; einen Trost oder ein gutes Wort. Seine Miene versetzte mir einen leisen Schmerz. Er fand nicht die Worte, die er hatte sagen wollen; er sagte nur: »Ich werde mich hier um alles kümmern.«
»Gut«, antwortete ich und ging.
Der Nebel hatte noch nicht aufgegeben, gegen die Sonne anzukämpfen, die seit ihrem Aufgang seine graue Decke zu schmelzen versuchte. Im Licht des Morgens lag er hell glimmend über dem Tal und verbarg die Umrisse von Gebäuden und Bäumen ebenso gut wie während der Nacht. Ich konnte den niedrigen, schlanken Turm der Abtei erst sehen, als ich mich ihm ein ganzes Stück genähert hatte, und zu diesem Zeitpunkt war mein eigener Hof längst im Morgennebel versunken; aber was die Sicht verbarg, trug den Ton um so weiter, und so hörte ich das dünne Geläut der Klosterglocke bereits, während ich noch unter meinem Tor hindurch ins Freie trat. Es begleitete mich mit seinem monotonen Rhythmus bis zum Ufer des nördlichen Isararms, hinter dem sich das Äußere Tor erhob; dann erstarb es mit einem letzten Mißton, als die heiligen Frauen die Glocke anhielten. Ich war diesmal nicht allein auf der Straße: Ein paar Bauernkarren rumpelten über ihre schadhafte Decke zur Stadt hin, und ihre Lenker grüßten mich mit der interesselosen Freundlichkeit von Reisenden, die sich zufällig auf dem Weg treffen. Die Ladeflächen der Karren waren leer; sie fuhren nicht zum Markt. Die meiste Arbeit für den Winter war getan, und sie konnten es sich leisten, den Feiertag gaffend und staunend in der Stadt zu verbringen. Ihre Frauen und Kinder saßen neben ihnen auf den Böcken, und beim einen oder anderen befand sich als ausnahmsweise menschliche Fracht ein Knecht oder ein fröstelndes Paar Mägde auf dem Karren. Der neue Kirchenbau und die Messe, die der Domkapitular davor las, würden die
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