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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Strom an Stadtbewohnern und Besuchern, die sich alle zum Martinsdom hinunter begaben. Ich hatte ein ungutes Gefühl dabei, mich mit dem Mann in der Öffentlichkeit zu zeigen, obwohl ich nicht erwartete, daß mich jemand kennen würde; der Sohn des Apothekers dagegen bewegte sich unbefangen, entweder durch sein Studium über den Dingen stehend oder sich der sozialen Fehlleistung, in Begleitung des Totengräbers gesehen zu werden, nicht bewußt. Es stellte sich jedoch heraus, daß uns niemand auch nur einen zweiten Blick schenkte. Zwischen dem Spitaler Tor und dem Blauen Turm drängten sich die Menschen um den Eingang der Heilig-Geist-Kirche. Wahrscheinlich erwarteten sie den Beginn einer Prozession, die durch die gesamte Länge der Stadt hinunter zum neuen Dom führen würde, um sich ihr anzuschließen. Wir drängten uns durch die Menge, ohne im geringsten aufzufallen. Während wir die Tore hinter uns ließen und die Grüße der Leute erwiderten, die uns außerhalb der Stadt entgegenkamen, befürchtete ich, daß wir auf Mitglieder meines Gesindes stoßen mochten; aber dann beruhigte ich mich: Selbst wenn noch einige Nachzügler unterwegs zur Stadt waren, würden sie in Erwartung der festtäglichen Aufregungen so gebannt sein, daß ich ihnen vermutlich nicht einmal auffiel – und wenn, würden sie weder aus meinem noch dem Anblick meiner Begleiter irgendeinen Verdacht schöpfen.
    Unser Weg verlief schweigsam. Ich war zu angespannt, um viel zu sprechen, und Löw schien meine Verfassung zu respektieren und antwortete nur, wenn ich ihn etwas fragte. Der Totengräber marschierte stumm hinter uns her und machte keinerlei Anstalten, überhaupt etwas zu sagen. Ich fragte den jungen Mann, warum er den weiten Weg nach Innsbruck gemacht habe, um dort zu studieren, und er erklärte mir, daß Herzog Ludwig die Universität in Ingolstadt zu spät gegründet habe. Er hatte sich bereits vor fünf Jahren in Innsbruck eingeschrieben, Ludwig die Ingolstädter Universität aber erst vor drei Jahren gegründet. Ich hatte außerdem das Gefühl, daß er froh gewesen war, dadurch dem Einfluß seines Vaters ein wenig zu entkommen.
    Auf meinem Hof waren nur die alten Männer und Weiber und ein paar Kleinkinder übriggeblieben. Sie saßen auf Bänken und Hackklötzen in der Sonne, die Männer mit dem Schnitzen irgendwelcher Werkzeuge, die Weiber mit Rickarbeiten beschäftigt. Sie begrüßten mich ehrerbietig, ohne unserer Gruppe besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Um das Haus herum roch es bereits nach heißem Fett und den aus Hefeteig gebackenen Wecken, die heute nachmittag und morgen an die Kinder des Gesindes und an die um Almosen für die Waisen bettelnden Klosterschwestern des nahen Konvents ausgegeben wurden. Ich hatte mich immer wie ein kleiner Junge auf die süßen Wecken und Zöpfe gefreut, die die Mägde in der vor Hitze und Feuchtigkeit brüllenden Küche zubereiteten. Seit Marias Tod war mir ihr Geschmack verleidet. Die alten Frauen nannten sie Seelenwecken und behaupteten, sie würden gebacken, um die Seelen der Toten zu bewirten, die um Allerheiligen und Allerseelen unter ihren Angehörigen weilten. Allein der Gedanke daran raubte mir das Gleichgewicht.
    Ich führte die beiden Männer in das Wohngebäude.
    »Wo befindet sich die Tote?« fragte der junge Löw.
    »Ich bringe Euch hin. Braucht Ihr irgendeine Hilfe?« Ich schluckte, als ich daran dachte, er könne die Frage bejahen und mich darum bitten. Ich hatte kein Begehren, mich mit der Leiche zu befassen.
    »Der Herr Totengräber wird mir assistieren«, sagte er. »Ihr könnt der Untersuchung selbstverständlich beiwohnen, wenn Ihr dies wünscht. Sie dauert nicht lange.«
    »Vielen Dank«, erwiderte ich. »Ich ziehe es vor, hier in der Stube auf Euch zu warten.«
    Er nickte, und ich brachte die beiden Männer zu der verschlossenen Tür. Meine Hände zitterten, als ich den Schlüssel herumdrehte. Noch während ich die Klinke nach unten drückte, war ich mir plötzlich sicher, daß der Raum voller Leute sein würde, die mich vorwurfsvoll anstarrten. Mein Herz klopfte wild; die Vorstellung ließ sich nicht abschütteln. Als ich hineinspähte und das Lager leer fand bis auf die verhüllte Gestalt der Toten, war ich beinahe überrascht. Das Sonnenlicht strömte jetzt ungehindert zur Fensteröffnung herein und lag auf dem Tuch, das ihre Umrisse bedeckte. Ich dachte daran, daß es den Körper unter dem Tuch nicht mehr erwärmen konnte.
    »Wir haben sie dort aufgebahrt«, sagte ich

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