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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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»Ich hatte vergessen, daß Ihr gut rechnen könnt.«
    Ich hatte den gesamten Nachmittag des Donnerstag mit der polnischen Delegation verbracht, ohne auch nur den kleinsten Hinweis zu erhalten. Als ich die herzogliche Residenz beim Einbruch der Dämmerung verließ, war ich wütend und voll Sorge. Der Eingang zur Ländgasse lag dem Tor der Residenz direkt gegenüber, und ich ritt hindurch, um mir den Umweg über die Altstadt zu sparen. Die Hufe meines Pferdes klangen dumpf auf dem festgetretenen Erdreich in der Gasse. Hier, in ihrem oberen Drittel, war es stockduster. Ich erinnerte mich, daß Hanns Altdorf er gesagt hatte, erst in der unteren Hälfte stünden Wohnhäuser. Ich sah an den Stadeln hoch, die sich links und rechts über die Gasse lehnten. Jedes Haus stand abweisend, die Fenster blind, die Türen unbewegt. Die dunklen Eingänge der Tordurchfahrten, deren Torflügel offenstanden, und der kleinen Gassen zu beiden Seiten gähnten menschenleer. Als ich die ersten Fackeln vor mir sah, die an der Ecke brannten, an der die kleine Seitengasse an Sebastian Löws Haus vorbei zur Altstadt führte, fiel mir das unbewohnte Haus ein, über dessen Schicksal Altdorf er so merkwürdig ausweichend gesprochen hatte, aber ich wußte nicht, wo in der dunklen Straße hinter mir das Gebäude liegen mochte. Ich versuchte, es aus meinen Gedanken zu verdrängen, aber es wollte nicht vollständig verschwinden. Es war das einzige Haus weit und breit, das nicht einem Bürger oder wenigstens einem Gast als Behausung diente.
    Bei der kleinen Seitengasse bog ich schließlich doch wieder zur Altstadt ab, um ins Licht zu kommen. Es trafen noch immer vereinzelte Transportkarren mit Vorräten ein, aber das Gros schien für heute erledigt zu sein. Ich kam an zwei Wappnern vorbei, die von einem Offizier ihre Anweisungen für morgen erhielten: Man erwartete die Ankunft von etlichen hundert Ochsen und Schafen auf Flößen, und die beiden sollten mit einer kleinen Mannschaft das Ländtor sowie die kleinen Flößertore besetzen, um etwaige während der Nacht ankommende Lieferungen sofort in Empfang nehmen zu können.
    Ich hoffte, daß der polnische Botschafter im Haus des Holländers anwesend war; ich hatte ihn mir für den morgigen Tag vorgenommen. Unwillkürlich stellte ich mir auf dem Ritt nach Hause die Frage: Und danach? Ich wußte nicht, was ich danach tun sollte. Mein Plan endete mit der Hoffnung, unter den Polen einen Verdächtigen auszumachen. Ich erwartete den kommenden Tag voller Angst und Ungeduld, während ich mich eine lange Weile schlaflos auf meinem Lager herumwälzte.
    Am Morgen erinnerte ich mich, daß ich Sebastian Löw noch den Betrag schuldete, mit dem er den Totengräber bezahlt hatte, und ich steckte etwas Geld ein, bevor ich mich auf den Weg zum polnischen Botschafter machte. Ich traf auf einen womöglich noch größeren Trubel als am gestrigen Tag. Die Spiegelgasse, in der sich das Haus des holländischen Kaufmanns befand und die Alt- und Neustadt miteinander verband, lag am entgegengesetzten Ende der Altstadt, und ich sah mich gezwungen, in die Neustadt auszuweichen, wenn ich vorankommen wollte.
    Zwei Wappner bewachten den Eingang zum Logis des polnischen Botschafters. Ich sah mit Erleichterung, daß es sich um Hiesige handelte, mit denen ich mich wenigstens verständigen konnte. Einer von ihnen führte mich und mein Pferd in einen kleinen Innenhof, der von dem weitläufigen Haus umschlossen wurde, und übergab mich einem polnischen Dienstboten des Botschafters. Der Dienstbote war ein älterer Mann, der bayrisch sprach und sich davon beeindrucken ließ, daß ich vermeintlich im Auftrag des Landshuter Bürgerrates vorsprach. Er brachte mich ohne langen Aufenthalt zu seinem Herrn und stellte mich vor.
    »Der Rat Priamus, mein Herr«, sagte er dann zu mir und zog sich zurück.
    Priamus war ungeachtet seines klassischen Namens keine stattliche Erscheinung; klein und aufgeschwemmt, sah man seinem Körper und vor allem seinen rotgeäderten Augen seine Laster an. Er nickte mir halb ungeduldig, halb neugierig zu und bot mir einen Sitzplatz an einem wuchtigen Tisch an. Ein Zinnkrug mit mehreren Bechern stand auf einem Tablett in der Mitte des Tisches; ein Becher befand sich vor dem Stuhl, in dem der Pole saß. Eine zittrige Tröpfchenspur auf der Tischplatte, die sich von dort bis zum Standort des Kruges zog, verriet, daß dieser heute schon mehrere Gänge vom und zum Becher zurückgelegt hatte. Priamus beugte sich ächzend über

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