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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Stethaimer nicht gewillt war, wegen der Tiere seine Baustelle aufzuräumen. Um den Viehtrieb nicht deshalb ins Stocken geraten zu lassen, verlegte man einen Teil der Strecke auch durch die Ländgasse; ich sah durch die Gasse von weitem die Rücken der Zuschauer, die sich am Weg entlang aufgestellt hatten.
    Als ich die Eingangstür zu Löws Haus öffnete, rannte ich beinahe in einen alten Mann mit einem groben Kittel, der sich dahinter aufgehalten hatte. Er sah mich erwartungsvoll an.
    »Ich möchte zu Sebastian Löw«, sagte ich.
    »Der Herr ist drüben in der Gasse und schaut dem Viehtrieb zu.«
    »Ist sein Sohn zu sprechen?«
    »Er hält sich irgendwo in der Stadt auf. Kann ich Euch zur Herrin führen?«
    »Nein, danke. Wo, sagtest du, ist Herr Löw?«
    »In der Ländgasse. Er ist eben losgegangen. Ich nehme an, Ihr werdet ihn gleich in der Nähe des Gasseneingangs finden.«
    Ich nickte und verließ das Haus. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich die Bezahlung nicht auf morgen verschieben und mich zuerst mit Altdorfer treffen sollte, doch ein Blick zurück in die Altstadt sagte mir, daß es im Moment sinnlos war, sie durchqueren zu wollen. Ich machte mich auf die Suche nach dem Apotheker.
    Er stand nicht weit von der Einmündung in die Ländgasse entfernt und versuchte, über die Köpfe der von ihm Stehenden zu spähen. Ich sprach ihn an, und er machte einen kleinen Sprung.
    »Ihr seid es, Herr Bernward«, stieß er hervor. »Ihr habt mich erschreckt.
    »Das tut mir leid«, erwiderte ich. »Seid Ihr so schreckhaft?«
    »In letzter Zeit schon«, sagte er. Dann breitete sich ein freundliches Lächeln über sein rundes Gesicht aus.
    »Was kann ich für Euch tun?«
    »Nichts«, erklärte ich. »Ich tue etwas für Euch. Zuerst möchte ich Euch sagen, daß Euer Sohn seine Arbeit gut gemacht hat.«
    Er erlaubte sich, vor Stolz zu erstrahlen.
    »Hat er Euch die Urkunde ausgestellt?«
    Ich dachte an das wertlose Stück Papier, das ich in meiner Kleidertruhe verstaut hatte, und sagte: »Ja. Sie wird mir gute Dienste leisten.«
    Er nickte. Sein Lächeln verschob sich um ein paar Grade von Stolz zu Anteilnahme. Es war überraschend, wie offen sein Mienenspiel seine Gefühlslage ausdrückte. Ich revidierte meinen Eindruck von unserem ersten Treffen, daß seine Kunden sich durch seine fröhliche Stimme verspottet fühlen mußten, nochmals; wer ihm länger als ein paar Augenblicke ins Gesicht sah, würde bedenkenlos jedes Mittel in sich hineinstopfen, das der Apotheker einem empfahl. Er strahlte Aufrichtigkeit aus, wie ein Holzfeuer Wärme abgibt.
    »Ihr habt mit den Eltern des jungen Mädchens noch nicht gesprochen?«
    »Nein. Ich fand noch – ah, nicht den Mut dazu.«
    »Ich kann es Euch nicht verdenken. Eine schwierige Aufgabe wartet auf Euch. Zögert nicht, meinen Sohn zu Hilfe zu nehmen, Herr Bernward; die Gegenwart eines Medicus kann bei derartigen Gesprächen manchmal Wunder wirken.«
    »Ich werde daran denken; vielen Dank«, erwiderte ich.
    Er zuckte mit den Schultern, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Ich räusperte mich und sagte: »Ich bin Euch noch schuldig, was Ihr dem Totengräber gegeben habt.«
    »Einen halben Gulden. Es tut mir leid; er ließ nicht mit sich handeln.«
    »Macht Euch keine Sorgen. Er war seinen Preis wert.« Ich händigte ihm das Geld aus, und er steckte es in die Tasche, ohne nachzuzählen. Dann zog er die Nase hoch und sah einen Moment den vorbeiziehenden Tieren zu, und über seine Miene wechselten rasch freundlicher Spott, Faszination und der Gesichtsausdruck eines Menschen, dem der Geruch von frischen Exkrementen in die Nasenlöcher gestiegen ist.
    »Seid Ihr geschäftlich hier?« fragte er, als er sich wieder zu mir umwandte und mit dem Daumen auf den Viehtreck zeigte.
    »Ich habe nach Euch gesucht«, antwortete ich. »Ich wollte meine Schulden begleichen.«
    »Das hätte aber keine Eile gehabt«, entgegnete er beinahe verlegen. Ich klopfte ihm leicht auf die Schulter, und er lächelte. Er deutete wieder auf die vorbeiziehenden Tiere mit ihren Treibern.
    »Eine ganze Menge Vieh, nicht wahr?« sagte er. »Ihr hättet es gestern sehen sollen, als das Gros der Vorräte aus den umliegenden Landgerichten durch die Stadt zog. Wahrscheinlich sind die ganzen Höfe in der Umgebung so ausgeplündert wie nach einem Kreuzzug. Die Tiere hier stammen sogar aus Ungarn.«
    »Ich kann es mir vorstellen«, erwiderte ich. »Was führt Euch hier heraus? Nur die Neugier?«
    »Nein«, lachte er.

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