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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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neben den Toten und beugte sich zu ihm hinunter. Mit einem zögernden Finger strich er über die eingedrückte Stelle.
    »Was ist das?« hörte ich ihn murmeln.
    »Das wird von seinem Aufprall auf das Wehr verursacht worden sein«, sagte einer der Wappner. Ich blickte unwillkürlich zu den Wehrwächtern hinüber und sah, wie einer von ihnen stumm den Kopf schüttelte. Auch für meine Augen sah es nicht so aus, als wäre die Verletzung durch die Konstruktion des Wehrs entstanden. Wäre die Strömung stark genug gewesen, um ihn mit einer solchen Wucht gegen die Pfosten zu schmettern, hätte sie vermutlich das halbe Wehr davongerissen.
    Der Wachführer zuckte mit den Schultern. Er brummte etwas Unverständliches. Ich dachte plötzlich an den Sohn des Sebastian Löw. Ein weiteres Objekt, an dem er seinen Scharfsinn unter Beweis hätte stellen können.
    Der Gürtel, den der Tote um den Leib trug, hatte dem Druck des aufgeschwemmten Gewebes standgehalten; er lag wie der Einschnitt einer tiefen Schlucht zwischen den Fleischmassen, die den Stoff seiner Kleidung an Rücken und Hintern spannten. Der Wachführer faßte um den Körper herum und strich den hochgezerrten Rock nach unten; ein kleiner Lederbeutel kam zum Vorschein. Die Menge, die bisher eher stumm den Bemühungen zugesehen hatte, stieß einen einheitlichen Seufzer aus.
    Der Wachführer öffnete den Beutel und holte ein paar Tonscherben und ein regelmäßiges, zweifingerdickes Stäbchen daraus hervor. Er starrte beides an, ohne einen Ton zu sagen oder den Eindruck zu machen, daß er sehr viel schlauer daraus wurde. Zuletzt legte er sie neben dem Toten in den Kies.
    »So, wie er aussieht, liegt er nicht erst seit gestern im Wasser«, sagte er. Er hob den Kopf und wandte sich an die Männer, die das Wehr überwachten. »Wie kommt es, daß ihr ihn erst jetzt herausgeholt habt?«
    »Weil er gerade erst angetrieben wurde«, sagte einer von ihnen herablassend.
    »Merkwürdig«, brummte der Wachführer.
    »Was ist daran so merkwürdig?« erwiderte der Wehrwächter. »Wer weiß, wo der Kerl ins Wasser gefallen ist.«
    »Der Fluß ist lang«, rief eine Stimme aus der Menge.
    »Er ist hier in Landshut ins Wasser gefallen«, sagte der Wachführer.
    Der Wehrwächter sah plötzlich interessiert aus.
    »Wie kommst du darauf?« fragte er.
    Der Wachführer hob das Stäbchen vom Boden auf und hielt es in die Höhe.
    »Das hier ist ein Siegel, wie es ein Schreiber bei sich trägt. Es trägt das Landshuter Wappen.«
    Der Wehrwächter schlenderte heran und ging auf der anderen Seite des Toten in die Hocke. Er nahm das Stäbchen und betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, bevor er es dem Wachführer zurückgab.
    »Wenn er hier ins Wasser gefallen ist«, sagte er langsam und nachdenklich, »kann er sich höchstens irgendwo verfangen haben und dort ein paar Tage hängengeblieben sein. Seit heute morgen ist der Wasserspiegel wegen der Regenfälle in den Bergen stark angestiegen; vielleicht wurde er davon losgerissen.«
    Der Wachführer verzog das Gesicht.
    »Warum nicht?« sagte der Wehrwächter. »Selbst der herzogliche Fischweiher ist über sein Ufer getreten; sein Wasser fließt in die Isar hinein.«
    »Woher willst du denn das wissen?«
    »Weil man’s mir gesagt hat«, brummte der Wächter und zwinkerte mit einem Auge. »Und weil man seit heute morgen vor unserem Wehr prächtige Hechte aus dem Wasser angeln kann.«
    »Ich denke, wir sollten dem Stadtrichter Bescheid geben«, sagte der Wachführer und richtete sich ächzend auf. »Soll er sich um den Kerl kümmern.«
    Er steckte das Siegel in seine Tasche und stapfte zurück zum Tor. Ich hörte, wie er im Vorbeigehen zu einem seiner Männer sagte: »Treibt mir die Leute auseinander«, und die Wappner begannen, die Zuschauer mit waagrecht vor den Körper gehaltenen Spießen zurückzudrängen. Einer von ihnen pflanzte sich breitbeinig vor dem Toten auf; allerdings drehte er ihm den Rücken zu. Die Menschen ließen sich davonschieben, wandten sich schließlich ab und kehrten in die Stadt zurück. Auch ich zerrte mein Pferd vom Ufer weg. Ich war nachdenklich. Es war anscheinend niemandem aufgefallen: Der Tote trug keine Schuhe, und um einen seiner bloßen Knöchel lag tief im Heisch versunken ein Rest der Schlinge, mit der seine Füße zusammengebunden gewesen waren.
    Während des Ritts nach Hause tauchte ständig das Bild vor meinen Augen auf, wie sie den Ertrunkenen über den flachen Uferkies aus dem Wasser herausgerollt und

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