Der Tuchhändler (German Edition)
Brandenburg, die mich regelmäßig als Alptraum heimsuchten. Während all der Zeit hatte ich vermieden, mich bewußt mit ihnen zu befassen; der Gedanke daran würde nur die Gewißheit meiner verzweifelten Ohnmacht und meines Versagens auslösen. Jetzt, zu wach, um dösen oder gar schlafen zu können, und meine Sinne in dem gleichen fiebrigen Aufruhr, in dem sie sich damals die ganze Zeit befunden hatten, konnte ich es jedoch nicht verhindern. Ich starrte in die Dunkelheit und erinnerte mich, ohne es wirklich zu wollen, und ich war beinahe erstaunt, wie leicht es war, wenn die Erinnerung nicht in die surreale Welt eines Alptraums verpackt war.
Die politischen Wirren nahmen ihren Anfang auf dem Türkentag zu Regensburg im Jahre des Herrn 1455, als die deutschen Fürsten versuchten, der Tatenlosigkeit Kaiser Friedrichs mit der Wahl eines der ihren zum König entgegenzutreten. Schon dort verfeindeten sich Herzog Ludwig von Niederbayern und Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg, die einstigen Jugendfreunde, wegen der Aufstellung des Kandidaten ernsthaft miteinander. Bis zum Jahr 1459 hatten sie es vermocht, den Großteil der deutschen Fürsten in zwei Lager zu spalten. Selbst Kaiser Friedrich ergriff Partei: Auf der Seite des Markgrafen mischte er sich in die Streitigkeiten ein. Jedem mußte klar sein, daß eine kriegerische Auseinandersetzung jetzt nur noch eine Frage der Zeit war.
Im Frühsommer 1459 verhängte der Kaiser über Ludwig die Reichsacht und betraute Markgraf Albrecht mit der Vollstreckung der Acht. Der Krieg ging in die erste Runde.
Zu diesem Zeitpunkt hatten weder der Bischof noch ich mit den Kriegshandlungen selbst zu tun. Der Bischof weilte die längste Zeit des Jahres in Rom, um sich mit den Plänen von Papst Pius herumzuschlagen, einen Kreuzzug gegen die Türken ins Leben zu rufen; und ich selbst führte einen Teil meiner weltlichen Geschäfte in Augsburg, vollauf damit und mit dem Versuch beschäftigt, meinem fünfjährigen Sohn Daniel das Lesen beizubringen. Das Kriegsgeschehen war ein weit entferntes Rumoren, das sich nachteilig oder vorteilig auf die Handelsgeschäfte des Bischofs auswirkte, meine Sphäre aber ansonsten nicht berührte. Herzog Ludwig geriet ins Hintertreffen und bot Verhandlungen an, während derer er einen halbwegs ehrenhaften Friedensschluß für sich erwirken konnte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ihm aufging, daß er trotz alledem von Markgraf Albrecht vermittels einiger mißverständlich formulierter Paragraphen hereingelegt worden war.
Der Krieg brach im Frühjahr 1460 erneut aus, noch während die päpstlichen Legaten in der halben christlichen Welt Frieden und Einheit gegenüber den Türken predigten. Diesmal erhielt Ludwig die Unterstützung seitens König Georgs von Böhmen, und der eingekreiste Markgraf bot nun seinerseits Friedensverhandlungen an. Papst Pius, in Dingen weltlicher Macht von großer Weitsicht, beauftragte Bischof Peter von Augsburg, die Entwicklung der Angelegenheit weiter im Auge zu behalten, und stattete ihn mit großen Vollmachten aus. Sein Ziel war, seinen Namen in den Chroniken mit einem Sieg über die Türken zu verzieren, und er wußte, daß mit einem in sich zerstrittenen Reich dieser Sieg nicht zu erringen war.
Pius hatte richtig gedacht; die Sache war weder für die beiden streitbaren Fürsten Albrecht und Ludwig bereinigt, noch für den Kaiser, der seine Stellung durch Ludwigs Bündnis mit Böhmen aufs äußerste gefährdet sah. Nach einigen verhältnismäßig ruhigen Monaten überschlugen sich die Ereignisse wieder, als Herzog Ludwig den mit dem Kaiser in Fehde stehenden österreichischen Erzherzog mit Truppen unterstützte. Friedrich ergriff die Gelegenheit beim Schopf (angesichts seines ansonsten sprichwörtlichen Zauderns möglicherweise eindringlich beraten durch Markgraf Albrecht) und erklärte den Reichskrieg gegen den Landshuter. Papst Pius schlug sich auf die Seite Ludwigs, der Bischof und ich begannen mit den ersten Verhandlungen, aber der Krieg hatte sich mit der ihm eigenen Logik zum dritten Mal in Bewegung gesetzt und war bereit, Städte, Dörfer und Menschenleben zu verschlingen.
Im Herbst 1462 belagerte Herzog Ludwig die Stadt Ansbach; das heißt, er beobachtete sie aus der Ferne. Er wagte nicht, einen festen Ring um die Stadt zu legen, der das wirtschaftliche Leben darin zum Erlöschen gebracht hätte. Vielmehr hatte er ein Feldlager in kurzer Entfernung zur Stadt aufbauen lassen, nahe genug, daß man von den
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