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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Bischof ansteckte.
    »Komm, mein Sohn«, flüsterte er und trieb sein Pferd an.
    Unser Gastgeber war längst im Haus, als wir seinen kleinen Hof erreichten. Zwei der vielen Hunde, die das Gut bewacht hatten, lagen zerhauen in Blutlachen gleich hinter dem Tor, von den anderen war nichts zu sehen. Das neue Pferd schnupperte angewidert an den Kadavern und trottete ungebunden im Hof herum. Die Hälfte des Hauses, die als Stall gedient hatte, war ausgebrannt; daß das Feuer nicht auch auf den Wohntrakt übergegriffen hatte, war nur dem nassen Wetter zu verdanken. Vor dem verkohlten Stalltor schwammen weitere Blutlachen; ein paar nasse Kügelchen ausgerissenen Schaffells rollten im leisen Wind hin und her. Die Eingangstür des Wohntraktes war eingetreten und lag zerbrochen zur Hälfte drinnen, zur Hälfte draußen. Der alte Mann schien noch versucht zu haben, die Plünderer aufzuhalten. Er lag mit eingeschlagenem Schädel unter den Trümmern der Haustür. Neben der Türöffnung an der Außenwand des Hauses war ein dunkler Fleck geronnenen Blutes, als hätte jemand etwas Lebendiges gepackt und mit aller Macht dagegen geschmettert.
    All das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die heiseren Schreie, die aus dem Inneren des Hauses drangen und die völlig ohne jede Artikulation den wilden Schmerz dessen herausschrien, der neben den Leichen seiner Kinder auf dem Boden kniete. Ich glitt vom Rücken des Pferdes und wollte in das Haus hineinlaufen, aber der Bischof brachte seinen Gaul mit einem Sprung zwischen mich und die gähnende Eingangstür.
    »Bleib hier, mein Sohn«, rief er scharf.
    »Sie sind tot!« schrie ich und sah zu ihm auf. Ich konnte nur seinen Umriß gegen den dämmrigen Himmel ausmachen: Die Tränen strömten aus meinen Augen und trübten meine Sicht.
    »Sie sind seine Familie«, erwiderte er.
    Ich spürte, wie mich die Kraft verließ; im nächsten Moment hockte ich auf dem Boden und versuchte, das heiße Würgen in meiner Kehle zu unterdrücken. Es gelang mir nicht: ich saß mit dem Hintern im Dreck und schluchzte.
    Undeutlich sah ich, wie der Bischof abstieg und sich neben mich stellte. Ich versuchte, sein Gesicht zu erkennen, aber meine Augen verweigerten ihren Dienst. Er setzte an, etwas zu sagen, aber es dauerte einen Moment, bis seine Stimme klar war. Aus dem Haus drangen noch immer die gepeinigten Schreie unseres Gastgebers.
    »Es ist unsere Schuld«, knurrte der Bischof. »Wir haben zu lange abgewartet. Und wir haben noch Glück gehabt, daß wir nicht selbst hiergewesen sind.«
    Ich hörte ihn kaum; ich erinnerte mich, wie sie gesagt hatte, in meiner Gegenwart brauche sie sich nicht zu ängstigen. Ich wollte nicht daran denken, was der Mann, dessen Schreie wir bis hierher hörten, dort drinnen vorgefunden hatte. Ich senkte den Kopf, und die Tränen fielen in meinen Schoß.

5
    A m Samstagmorgen erreichte mich ein Bote; ein erschöpfter Reiter, dem das Unbehagen deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Er begrüßte mich mit vertrautem Respekt: Er war einer der Angestellten meines Geschäfts, Jörg Tannberger, dessen älterer Bruder ein Bekannter des Stadtkämmerers war und als Ordonnanz am Hof des Herzogs diente. Tannberger war derjenige, der den Transport meiner Leinenlieferung zu überwachen hatte und gleichzeitig als mein Vertreter bei Walther vom Feld auftrat; es war sein erster größerer Auftrag, und ich hatte ihn damit betraut, weil ich der Ansicht gewesen war, daß die Aufgabe unkompliziert genug war und er außerdem unter den Fittichen des Holländers stand. Ich war zuerst erleichtert, als ich ihn zur Tür hereintreten sah, denn ich dachte, er sei zusammen mit dem Warentransport in Landshut eingetroffen; aber dann bemerkte ich sein düsteres Gesicht und den Schmutz, der von einem langen Ritt ohne Pausen stammte, und das Essen schmeckte mir plötzlich fad. Er war naß vom Regen, der in der Nacht eingesetzt hatte und seitdem ununterbrochen fiel, und ich hieß ihn am Feuer Platz nehmen; er bedankte sich, wischte sich über sein Gesicht, wo seine Hände braune Spuren hinterließen, und nahm dankbar eine Schüssel mit warmer Suppe an.
    »Schlechte Nachrichten, Herr«, sagte er, noch bevor er etwas zu sich nahm. Ich warf meinem Verwalter einen raschen Blick zu; dieser hatte sich nach vorn gebeugt und starrte den Boten voller Erwartung an. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Spannung zu Bestürzung. »Die Stofflieferung kommt nur zum Teil. Der Treck mit der Seide für die Hofkleidung, den der

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