Der Tuchhändler (German Edition)
Berge. Dort, am Anfang des Brennerpasses, trafen wir auf einen anderen großen Treck. Es stellte sich heraus, daß es der von Herrn Halterspiel war, der eine Samtlieferung aus Florenz nach Landshut transportierte. Es war ihm ähnlich ergangen wie uns in Venedig, nur daß Herr Halterspiel sein Problem mit Hilfe der dort ansässigen deutschen Kaufleute löste. Wir legten die Karawanen zusammen, um besseren Schutz vor den Wegelagerern am Brennerpaß zu haben, aber das Wetter war während der ganzen Überquerung so schlecht, daß keiner von den Buben sich blicken ließ. Die Schwierigkeiten begannen erst in Innsbruck, als wir alle glaubten, das Schlimmste läge schon hinter uns. Wir verbrachten dort ein paar Tage, um die Pferde und Zugochsen zu schonen. Während dieser Zeit muß jemand den beiden Karawanenführern erzählt haben, daß Türkenbanden die Gegend unsicher machen.«
»Lächerlich«, entfuhr es mir. »Die Türken sind wohl schon in der Steiermark gesehen worden, aber doch nicht am Inn.«
»Wie auch immer«, sagte er achselzuckend. »Die Karawanenführer verlangten eine Sonderzahlung wegen der Türkengefahr, und die Herren Halterspiel und vom Feld argumentierten sich mit ihnen die Köpfe heiß. Die Wagenlenker und die Ochsentreiber wollten nicht nachgeben. Ich bin beinahe verzweifelt, Herr; es war zum Wahnsinnigwerden, wenn man den Gesprächen beiwohnte. Die Kerle waren stur wie die Ochsen, die ihre verdammten Karren die Berge hochzogen, und dabei so ängstlich wegen der Türken wie ein Haufen alter Weiber.«
Aus der Ecke, in der die alten Frauen meines Gesindes saßen, erhob sich aufgebrachter Protest. Ich brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Nach einigem Verhandeln einigten sich die Karawanenführer und die beiden Herren auf die Hälfte des geforderten Preises, und die Ochsentreiber luden die Wägen wieder auf. Gestern morgen brachen sie auf.«
Ich wußte, was kommen würde. Ich sagte: »Ohne die Wägen mit der Leinwand.«
Er sah auf und rang beinahe die Hände.
»Herr, Ihr habt mir keinen Ermessensspielraum gegeben, was die Entlöhnung der Wagenführer angeht. Ich konnte auf ihre Forderungen nicht eingehen. Beinahe hätte ich sie soweit gehabt, daß sie auf das Versprechen hin, Ihr würdet Euch die Sache bei der Ablieferung anhören, weitergezogen wären. Aber sie wollten ein Versprechen, das weiter ging als das: Sie wollten hören, daß Ihr Ihnen bei der Ablieferung zahlen würdet, was sie verlangen. Dies konnte ich ihnen nicht zusagen. Als zuletzt der Großteil der Karawane weg war, hatte ich überhaupt keine Chance mehr. Um allein weiterzuziehen, fehlte ihnen der Mut; sie hätten es nicht für noch soviel Geld getan. Es tut mir leid, Herr. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit.«
Es entsprach nicht ganz meinen Gefühlen, als ich sagte: »Schon gut. Es ist nicht dein Fehler.«
Tatsächlich hätte ich ihm ins Gesicht springen mögen. Aber ich zeigte ihm meinen Ärger nicht. Ich hatte die Situation falsch eingeschätzt, und wenn Tannberger sich tatsächlich so schwerfällig betragen hätte, wie ich im ersten Unmut dachte, wäre die Leinwand noch immer auf den Webrahmen der venezianischen Händler. Es war mir klar, daß es ganz allein meine Schuld war. Ich hatte ihm zuwenig Spielraum gelassen. Ich biß die Zähne zusammen und fragte: »Wo ist die Lieferung jetzt?«
»In einem Lager in Innsbruck. Als sie erkannten, daß ich ihnen keine Zugeständnisse machen konnte, brachen die Wagenführer gestern mittag auf zurück nach Venedig. Ich suchte den ganzen Nachmittag noch nach Fuhrleuten in Innsbruck, die bereit wären, die Lieferung zu übernehmen; aber anscheinend war mein Problem bereits überall bekannt, denn die dortigen Kärrner wußten um ihren Vorteil und verlangten ebenfalls viel zu hohe Preise. Am Abend brach ich schließlich auf und ritt die ganze Nacht durch, um Euch Bescheid zu sagen.«
Ich lehnte mich zurück und schwieg eine lange Weile. Zuletzt sagte ich: »Ich danke dir. Iß etwas und leg dich hin. Ich muß nachdenken.«
Der Bote nickte und schlich mit gesenktem Kopf aus der Stube. Das übrige Gesinde nahm seinen Abgang zum Anlaß, ebenfalls so leise wie möglich zu verschwinden.
»Ein großes Unglück«, sagte der Verwalter vorsichtig. Ich stieß den Atem aus. »Das kann man wohl sagen.« »Was sollen wir jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht.« Ich war verärgert; gerade jetzt konnte ich ein Problem dieser Art am allerwenigsten gebrauchen. Mein Gehirn war leer. Es
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