Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
Vom Netzwerk:
hätten sich auf dem Land gelangweilt und die Stadt, die Druckerei und ihn vermisst. Und das entsprach durchaus der Wahrheit.
    Abel freute sich zwar, die beiden Frauen wieder bei sich zu haben, berichtete ihnen dann aber mit sorgenvoller Miene, dass sie sich in einer zunehmend schwierigen Lage befänden. Eine Madrider Zeitung hatte eine Liste mit den Namen von zwanzig Personen veröffentlicht, die beschuldigt wurden, Franzosenfreunde zu sein. Sie wurden zur Gefahr für Nation und Vaterland und den rechtmäßigen König Ferdinand  VII . erklärt. Auf dieser Liste standen auch die Namen von Abel und Monsieur Verdoux.
    »Es ist schon kurios«, sagte er niedergeschlagen zu seiner Frau. »Die größten Befürworter des Absolutismus bedienen sich der Pressefreiheit, gegen die sie immer gekämpft haben, um Hetzartikel gegen mich zu schreiben. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Meinungsfreiheit genau dort endet, wo die Herabwürdigung des anderen beginnt.«
    »Wie hat Monsieur Verdoux es aufgenommen?«, fragte Rosario besorgt.
    »Ich kann es dir nicht sagen«, antwortete Abel. »In den letzten Tagen ist er wie abwesend.«
    ***
    AN DEM TAG, ALS SEINE FRAU STARB, war Abel de Montenegro nicht zu Hause. Er war mit großem Einsatz dabei, die erste spanische Verfassung auszuarbeiten. Weder Rosario noch Guiomar hatten ihn je zuvor so begeistert erlebt. Er war unentwegt damit beschäftigt, Lösungen zu diskutieren, Treffen zu organisieren, Gespräche zu vereinbaren und durch die Gegend zu reisen, nachdem die Cortes von Sevilla nach Isla de León gezogen waren. Wenn er nach Hause kam, sprach er kaum mit ihnen und blieb nur ein, zwei Tage, gerade lang genug, um die dringendsten Probleme zu lösen, bevor er wieder für Wochen verschwand.
    Es geschah an einem dieser Abende, an dem Mutter und Tochter allein waren. Rosario benahm sich schon seit einigen Wochen sonderbar. Sie kümmerte sich nicht um den Inhalt der nächsten Ausgabe der
Unbeugsamen Rose
, sondern sortierte stattdessen ihre Schränke, ihren Schmuck und ihren Frisiertisch. Sie schenkte der Köchin ihre Parfüms und verriet Guiomar, wo sie das Kästchen mit dem wertvollsten Schmuck aufbewahrte, den sie von ihrer Großmutter und ihrer Mutter geerbt hatte und den der diebische Geist von Mamita Lula zum Glück verschont hatte.
    »Gib gut darauf acht, mein Herz«, sagte sie zu ihrer Tochter. »In Anbetracht der Lage habe ich das Gefühl, du könntest ihn für etwas Wichtigeres brauchen, als ihn bei einem Abendempfang zu tragen.«
    Guiomar kam das alles merkwürdig vor, aber sie gab nichts weiter darauf. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, einen Weg zu finden, sich mit Ventura in Verbindung zu setzen. Seit über sechs Monaten hatte sie nichts mehr von ihm gehört und befürchtete das Schlimmste. Weil ihre Mutter sie darum bat, erstellte sie eine Liste der im Haus befindlichen Wertsachen und schaffte sie auf den Dachboden. Doch Rosario blieb weiterhin äußerst still. Ihre Gespräche wurden immer einsilbiger, und meist verlor sie den Faden und blickte stumm ins Leere. Manchmal hatte sie morgens geschwollene Augen. Wenn Guiomar sie danach fragte, antwortete sie, nicht gut geschlafen zu haben.
    Am letzten Tag ihres Lebens erwachte sie mit guter Laune. Sie frühstückte mehr als sonst, sang beim Gießen der Pflanzen ein Lied und redete mit den Vögeln im Patio, während sie sie fütterte. Mit einem Lächeln auf den Lippen bediente sie die wenigen Kunden der Druckerei, und beim Mittagessen lobte sie die Köchin für ihre Karamellcreme. Später kam Guiomar zu dem Schluss, dass dies alles nur aufgesetzt gewesen war, um es den Menschen in ihrem Umfeld leichter zu machen.
    In Wirklichkeit war Rosario schon lange krank vor Kummer gewesen. Ihr Mann schien das Interesse an ihr verloren zu haben, und sie hatte das Gefühl, dass es auch mit der Druckerei allmählich bergab ging. Seit der Name Montenegro auf der Liste der Franzosenfreunde aufgetaucht war, hatten viele Kunden sie verlassen, und die meisten Hausmädchen kochten und putzten lieber für patriotischere Herrschaften. Lediglich die Köchin hielt ihnen die Treue, weil sie zu alt war und wusste, dass sie anderswo keine Anstellung mehr finden würde. Ohne Abel, ohne das geschäftige Treiben in der Druckerei, ohne Personal, das geführt werden musste, und ohne Monsieur Verdoux’ erlesene Fröhlichkeit war das Haus totenstill und erinnerte mit seinen weißgekalkten Wänden an ein Krankenhaus.
    Es war nach dem Abendessen, als

Weitere Kostenlose Bücher