Der Turm der Könige
Schulkameraden zu begegnen. Sie sprachen nie mit ihm, setzten sich nicht neben ihn, bewarfen ihn im Unterricht mit Papierkügelchen, beleidigten ihn in der Pause und hielten ihn auf der Treppe am Knöchel fest, bis er hinfiel.
Da Abel nicht auf die Provokationen einging, sondern einfach schwieg, fühlten sie sich ermutigt. Viele, die ihn am Anfang einfach nicht beachtet hatten, schlossen sich nun der Bande der Peiniger an, um nicht selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu geraten. Wenn das Unterrichtsende nahte, bekam Abel kalte, feuchte Hände, sein Herz schlug schneller, sein Bauch grummelte, und sein Hals wurde trocken, weil er die Gefahr vorausahnte. Er versuchte, alles einzupacken, bevor der Lehrer sie aufstehen hieß, und wenn es so weit war, verließ er schweigend den Klassenraum, den Blick gesenkt, die Bücher über der Schulter. Draußen nahm er immer zwei Stufen auf einmal, stürzte aus dem Schultor und rannte die Straße hinunter nach Hause, beruhigt, der Gefahr einen weiteren Tag entkommen zu sein.
Weil es in der Druckerei immer mehr zu tun gab und der Junge seinen Eltern nie von seinem Kummer erzählte, bemerkte zunächst niemand, dass er Angst vor der Schule hatte. Wäre es nicht zu dem bedauerlichen Zwischenfall gekommen, hätte sich sein Leiden sicherlich noch lange hingezogen.
Eines Junimorgens bat ihn der Lehrer, ihm beim Einsammeln der Lektürehefte zu helfen, die auf den Pulten lagen, und sie in die Regale der Bibliothek zurückzubringen. Diese Verzögerung machte seinen üblichen Fluchtplan zunichte und hinderte ihn daran, die Schule vor seinen Klassenkameraden zu verlassen. Er trödelte so lange wie möglich herum, bis er dachte, dass seine Peiniger des Wartens müde geworden und nach Hause gegangen wären. Aber er hatte sich geirrt. Draußen wartete eine Gruppe von fünf Jungen auf ihn. Ihm blieb keine Zeit wegzurennen. Sie umringten ihn und begannen, ihn zu beschimpfen. Aber da er nicht reagierte, beschlossen sie, seine Mutter zu beleidigen und dann seinen Vater und seinen Großvater.
Abel wich ihren Blicken aus und trat von einem Fuß auf den anderen, um sich an ihnen vorbeizudrücken. Einer der Jungen verpasste ihm einen Stoß gegen die Brust, während ein anderer ihm ein Bein stellte, so dass er rückwärts hinfiel. Sie nahmen ihm die Bücher ab, rissen die Seiten aus seinen Heften und spuckten ihn an, während sie ihn lautstark als »Piratensohn« beschimpften. Abel merkte, wie er am Mund getroffen wurde. Er schloss instinktiv die Augen und hob schützend die Arme vors Gesicht. Die wenigen Passanten, die auf der Straße waren, taten nichts, um ihm zu helfen.
»Kindereien«, sagten sie, während Abel zusammengekrümmt die Prügel einsteckte.
Nach einigen Minuten hatten die Jungen genug. Sie fanden es langweilig, jemanden zu verprügeln, der keine Anstalten machte, sich zu wehren. Allmählich ließen die Schläge nach, bis einer von ihnen vorschlug, zur Plaza de la Magdalena zu gehen, um mit Steinen auf Katzen zu werfen.
Abel blieb noch lange still liegen, ohne sich vom Boden aufzurappeln oder die Augen zu öffnen. Der ganze Körper tat ihm weh, aber noch mehr schmerzte ihn sein verletzter Stolz. Schließlich schluckte er die Tränen hinunter, klopfte den Staub von den Kleidern, sammelte die Bücher ein, verschnürte sie wieder und warf sie sich über die Schulter. Er merkte, dass seine Unterlippe brannte. Sie war in Sekundenschnelle angeschwollen und pochte im Rhythmus seines Herzens. Eine warme Flüssigkeit rann von seiner rechten Augenbraue herab, und als er sie betastete, stellte er fest, dass es Blut war. Er beschloss, sich zu waschen, bevor er nach Hause ging, um Mamita Lula keinen Schrecken einzujagen, doch auf dem Weg zum Brunnen auf der Plaza de San Francisco kam er kaum voran. Die Straßen waren voller Menschen, und eine volksfestartige Stimmung lag in der Luft.
»Was ist denn da los?«, fragte er eine Frau, die stehenblieb und sein zerschundenes Gesicht betrachtete.
»Hast du es nicht mitbekommen?«, fragte sie erstaunt. »Der Botschafter von Marokko ist zu Besuch, und ihm zu Ehren wird eine Parade abgehalten. Seit einem Monat wird seine Ankunft angekündigt. Es ist
die
Nachricht zurzeit.«
Seit einiger Zeit versuchte der neue König Karl III ., den historischen Streit mit dem marokkanischen Volk beizulegen. Um den erbittertsten Widerstand zu brechen, ging er nicht auf die heikelsten Kapitel der Beziehungen zwischen beiden Völkern ein, ließ die Geschichtsbücher
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