Der Turm der Könige
letzten Partie kommt … Unser Mittelsmann hat uns mitgeteilt, dass der Pirat mit dem Mauren einige Abmachungen getroffen hat, damit niemand die letzte und entscheidende Partie stören kann. Anscheinend müssen beide Spieler beweisen, dass sie die Auserwählten sind, die rechtmäßigen Nachfolger des Pakts. Zu diesem Zweck müssen sie zwei Elefanten aus einem alten Schachspiel bei sich tragen: der eine aus Elfenbein, der andere aus Ebenholz. Zudem wird der Spieler, der die Mauren vertritt, einen goldenen Halbmond um den Hals tragen und der Vertreter der Christen das Kreuz des Malteserordens.«
»Leóns Kreuz!«, rief Cristóbal. »Er legt es niemals ab.«
»Das wird deine Aufgabe sein«, erklärte Fernando Álvarez. »Du musst beides beschaffen. Wir müssen vorbereitet sein, verstehst du?«
Und mit der Gelassenheit eines Menschen, der schon viele Intrigen gesponnen hat, erläuterte der »Alte Weise« ihm Schritt für Schritt, wie er es anstellen musste.
***
ES WAR NACH NEUN, als León und Abel die Komturei San Juan de Acre verließen. Der Regen hatte aufgehört, aber dafür war es nun drückend und schwül. Dickbäuchige schwarze Wolken jagten in Richtung Fluss dahin. Falls der Mond und die Sterne die Absicht hatten, sich in dieser Nacht zu zeigen, dann würde ihnen das mit Sicherheit nicht gelingen, denn von Westen her zog Nebel auf und legte sich allmählich über die Stadt. Vater und Sohn gingen Hand in Hand durch die Straßen.
»Stimmt es, dass du einen versteckten Schatz suchst?«, brach der Junge plötzlich das Schweigen.
León lächelte.
»Wer hat dir das erzählt?«
»Pater Dámaso. Er sagt auch, dass ich bei der Suche helfen darf, wenn ich keinem davon erzähle.«
»Wenn er es dir erlaubt, dann darfst du das sicher.«
Sie gingen weiter.
»Und wo sollen wir suchen?«
»Wenn wir das wüssten, wäre es kein versteckter Schatz, oder?«
»Und deshalb sprichst du mit dem marokkanischen Botschafter? Weiß er, wo der Schatz ist?«
»Nein, er weiß es auch nicht«, sagte León niedergeschlagen. »Aber er möchte ihn ebenso dringend finden wie wir.«
Auf Höhe der Plaza de San Lorenzo bogen León und Abel in eine dunkle Gasse ein, wo es keine Kirchen gab und auch keine Heiligenbilder, die mit ihren Kerzen ein wenig Licht gespendet hätten. Der Junge war noch nie dort gewesen. Als er viele Jahre später bewusst danach suchte, konnte er sie nicht mehr finden. León war in Gedanken noch bei der Versammlung, von der sie gerade kamen.
***
ZUR GROSSEN ÜBERRASCHUNG der Ordensritter hatte sich der marokkanische Botschafter auf dem Empfang im königlichen Alcázar bereiterklärt, ihnen eine Abschrift des Dokuments zu zeigen, nach dem sie seit Jahrhunderten suchten. Als sie das Schriftstück durchsahen, waren sie wie vor den Kopf geschlagen. Es enthielt eine Auflistung der gespielten Partien, vor denen jeweils ein Kreuz oder ein Halbmond stand, je nachdem, ob der christliche König oder der Muslim gewonnen hatte. Dieser Liste zufolge waren Axataf und seine Erben die rechtmäßigen Besitzer der Giralda. Bruder Lorenzo, der mit dem Alter noch aufbrausender geworden war, brach als Erster das Schweigen.
»Dieses Schriftstück ist nichts weiter als ein schmutziger Fetzen Papier!«, wetterte er ungehalten und richtete den Zeigefinger auf den muslimischen Botschafter, der zum Glück kein Wort verstand, obwohl ihn das aggressive Verhalten des Alten sehr wohl überraschte.
»Wartet, Bruder«, bat Bruder Dámaso und hielt ihn am Ärmel zurück. »Ich kenne diese Liste. Das ist genau das, was ich befürchtet hatte.«
»Bitte erklärt uns alles … Seid so freundlich«, bat León.
Daraufhin erzählte Bruder Dámaso, dass dieses Dokument eine niederträchtige, vor langer Zeit ersonnene Strategie ihrer Rivalen des Calatrava-Ordens sei, die von Anfang an versucht hätten, den Pakt zwischen den Herrschern nichtig zu machen. Sie wollten sie irreführen, gegeneinander aufbringen, Misstrauen schüren, um dieser Wette ein Ende zu setzen, die in ihren Augen eine gefährliche Dummheit war, ein Zeichen von Schwäche, wie sie eines christlichen Kriegers nicht würdig war. Der Calatrava-Orden begann, anonym Auflistungen zu versenden, in denen sie den Schachpartien der beiden Könige tatsächliche Schlachten zwischen beiden Völkern zuordneten. Dabei setzten sie die Bauern mit dem gemeinen Fußvolk gleich, die Türme mit Burgen, den Läufer mit dem Bischof, die Dame mit dem königlichen Gnadenbild der
Virgen de los Reyes
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