Der Turm der Könige
bis die Partien zu exakten Nachahmungen der gekämpften Schlachten wurden.
Nun lag dieses Dokument vor ihnen, und es stand drei zu zwei für den Halbmond.
»León, du musst dem Botschafter das alles erklären«, sagte Bruder Dámaso. »Dieser Anhang ist nicht echt. Es fehlen die Unterschriften der Herrscher. Dieses Schriftstück beweist gar nichts. Übersetze bitte ganz genau, was ich jetzt sage.«
Und er begann, die Geschichte von Anfang an zu erzählen, mit eindringlicher Stimme wie ein Vater, der seinem Sohn eine Gutenachtgeschichte erzählt.
***
1248 SPIELTEN DER CHRISTLICHE Thronfolger und ein muslimischer König darum, wer für die Nachwelt der Besitzer der Giralda sein solle. Sieger sollte sein, wer als Erster drei Partien gewann. Die Regeln dieses Wettstreits wurden in einem Nachtrag zum Kapitulationsvertrag bei der Einnahme Sevillas festgehalten. Die erste Partie gewann der christliche Thronfolger.
Axataf und Prinz Alfons spielten über die Entfernung weiter, der eine im Maghreb, der andere in Sevilla. Als Boten dienten Brieftauben. Auch bei der zweiten Partie war der Christ seinem Gegner überlegen. Die weißen Springer brachten den schwarzen König in große Bedrängnis, der auf spektakuläre Weise schachmatt gesetzt wurde: Sa4++. Damit stand es zwei zu null für die Christen.
Alfons, der mittlerweile König war, beschloss, das Werk seines Vaters fortzusetzen: die Eroberung der Iberischen Halbinsel. Er entsandte seine Truppen nach Niebla und belagerte monatelang die Ortschaft. Die Menschen wurden von einer neuen Erfindung namens Pulver zermürbt, das alles, womit es in Berührung kam, in tausend Stücke zerbersten ließ. Als schließlich die Lebensmittel knapp wurden, ergaben sie sich. Wenig später erhielt Axataf einen anonymen Brief, der den Ausgang der beiden Schachpartien mit tatsächlichen Schlachten zwischen beiden Völkern in Verbindung brachte.
1248. Eroberung von Sevilla. Kd2++
1262. Eroberung von Niebla. Sa4++
Christen: 2 Muslime: 0
Der muslimische Herrscher verlangte eine Erklärung von Alfons X . Er war aufgebracht, glaubte er doch, die Christen wollten ihn verspotten. Alfons der Weise versicherte ihm, dass er nicht wisse, wer diesen beunruhigenden Brief geschickt haben könnte, aber ahne, dass es jemand war, der ihren Pakt zunichte machen wollte. Nach langen Unterredungen beschlossen sie, die Wette fortzusetzen, und spielten eine weitere Partie, die der Muslim mit dem Zug Txf1++ gewann. Damit stand es zwei zu eins. Aber das Vertrauen zwischen den beiden Herrschern war angeschlagen …
1270 unternahm der französische König Ludwig IX . einen Kreuzzug gegen die Muslime. Doch es kam nicht zum Kampf. Ein Großteil des Heeres infizierte sich mit der Pest, die in Tunis wütete. Auch der König selbst fiel der Krankheit zum Opfer. In seiner Verzweiflung schloss sein ältester Sohn einen Friedensvertrag mit dem Sultan und kehrte nach Frankreich zurück. Zwei Monate später erhielt Alfons der Weise ein anonymes Schreiben. Es war ein Pergament mit einer Aufzählung von Schlachten:
1248. Eroberung von Sevilla. Kd2++
1262. Eroberung von Niebla. Sa4++
1270. Siebter Kreuzzug. Txf1++
Christen: 2 Muslime: 1
Alfons der Weise beschloss, diesen anonymen Schreiben keine weitere Aufmerksamkeit zu schenken, und setzte die Schachpartien aus der Entfernung fort. Die nächste Partie gewann erneut der Muslim.
Dann wurde der »Krak des Chevaliers«, der zu Zeiten der Kreuzzüge Sitz des Johanniterordens war, von dem Mamelukensultan Baibars belagert. Dieser wandte eine List an, um seine Gegner zu täuschen, und entsandte eine Brieftaube mit einer gefälschten Botschaft des Großmeisters der Johanniter in die Burg. In dieser bat er die Christen, sich zu ergeben, da man keine Hilfe schicken könne. So ging der »Krak des Chevaliers« für immer verloren.
Kurz darauf erhielt der kastilische König ein weiteres anonymes Schreiben.
1248. Eroberung von Sevilla. Kd2++
1262. Eroberung von Niebla. Sa4++
1270. Siebter Kreuzzug. Txf1++
1271. Krak des Chevaliers. e2
Christen: 2 Muslime: 2
Seine Pläne, die Iberische Halbinsel zurückzuerobern, führten Alfons den Weisen nach Algeciras. Die Meerenge war ein strategisch bedeutender Ort, war doch von dort eine erneute muslimische Invasion in Kastilien zu befürchten. Doch das christliche Heer wurde von den hohen Temperaturen überrascht, von Wassermangel, Hunger und wieder von der Pest … Derart geschwächt, war es
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