Der Turm der Könige
Monstrum da, mit diesen Füßen und in dieser Farbe … das ist einfach skandalös!«
Sie begann die Vorteile einzusehen, als man ihr erklärte, dass es wesentlich unanständiger sei, wenn Abel nach wie vor im Guadalquivir bade, obwohl ihm schon Haare auf der Brust wuchsen. Doch was sie endgültig überzeugte, war ihr erstes eigenes Bad. Von diesem Tag an verbrachte Mamita Lula jeden Sonntag eine Stunde in dem »Monstrum«, auch wenn sie mit ihrem ausladenden Hinterteil manchmal Schwierigkeiten hatte, ganz unterzutauchen.
Abel hingegen fühlte sich in der Wanne mit den Löwentatzen nie wohl und benutzte sie nur selten. Für die Körperpflege bevorzugte er den althergebrachten Waschkrug samt Schüssel. Für ein erfrischendes Wannenbad musste jemand da sein, der einem das Wasser über den nackten Rücken goss, und hier machte sich sein Schamgefühl bemerkbar. Er wollte nicht, dass seine Mutter oder Mamita Lula oder gar eines der Dienstmädchen ihn so sahen, wie Gott ihn geschaffen hatte.
Julita gegenüber empfand er allerdings keine Scham. Zwischen ihnen herrschte ein tiefes Einvernehmen, das aus all den Jahren herrührte, in denen sie ihre Träume und Geheimnisse, ihre Ängste und die köstlichen Bonbons geteilt hatten, die sie sich auf dem Dach der Druckerei gegenseitig in den Mund schoben. So lange Zeit hatten sie einander gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen, um zu sehen, wer zuerst in den Fluss sprang, dass Abel jedes einzelne Muttermal an Julitas Körper kannte – schon lange, bevor er dieses unbändige Verlangen zu empfinden begann, eines nach dem anderen zu küssen.
Für ihn waren sein Körper und der von Julita eins. Vor ihr empfand er keine Scham. Er sehnte den Tag herbei, an dem er endlich volljährig würde, um offen mit ihren Familien über ihre Liebe sprechen zu können. Er träumte von einer Hochzeit in der Kathedrale mit dem Segen der Jungfrau Maria und aller Heiligen. Davon, ihr einen Palast zu kaufen, sie mit Geschmeide, Seide und Zärtlichkeit zu überhäufen. Sie ausgiebig und manchmal auch stürmisch zu lieben. Sie glücklich zu machen bis ans Ende seiner Tage.
Aber bis dieser wunderbare Zeitpunkt gekommen war, mussten sie andere Wege für ihre Liebe finden, denn inzwischen war es ihnen unmöglich geworden, sich zu beherrschen. So zog sich Abel nach dem Abendessen unter dem Vorwand zurück, noch ein wenig lesen zu wollen, und lauschte aufmerksam auf die Geräusche im Haus, bis alles darauf hindeutete, dass seine Bewohner schlafen gegangen waren. Dann schlich er sich aus der Druckerei, wie es damals sein Vater aus anderen Gründen getan hatte. Er überquerte die Plaza de San Francisco und bog in die Calle Sierpes ein, wo Julitas Großeltern wohnten.
Als Kind hatte ihm diese Straße Angst gemacht. Bekannte Schriftsteller erwähnten sie in ihren Werken, weil sie der perfekte Schauplatz für geheimnisvolle Spukgeschichten war. In der Calle Sierpes hatte seinerzeit ein buckliger Franzose namens Pierre Papin sein Geschäft gehabt, wo er die Betrüger und Falschspieler der Stadt mit Spielkarten versorgte. Im Hinterzimmer des Ladens hatte er eine Spielhölle unterhalten. Dort ging es um so viel Geld, dass der Ruf seines Etablissements bis auf die andere Seite des Ozeans reichte und Seeleute aus Westindien kamen, um sich das Gold abluchsen zu lassen, das sie so mühsam im gelobten Land angehäuft hatten. Lautstarke Auseinandersetzungen und Schlägereien bestimmten das Bild in der Calle Sierpes, Männer, die nach Salz, Schweiß und Alkohol rochen, ängstigten die Kinder und empörten die Erwachsenen.
Angeblich ging der Name der Straße auf eine Barbierstube zurück, die sich vor vielen Jahren dort befunden hatte und deren Besitzer das Rasiermesser genauso geschickt handhabte, wie er Blutegel zum Schröpfen ansetzte oder eine Medizin anmischte. Der Barbier hatte auf dem Ladentisch einen Glasbehälter mit einer riesigen Schlange stehen – daher der Name der Straße, Calle Sierpes, die »Schlangenstraße«. Aber Julitas Großvater sagte, das sei gar nicht wahr, der Name gehe auf eine viel unheimlichere Angelegenheit zurück.
»Es gab eine Zeit, in der in Sevilla unerklärliche Dinge vor sich gingen«, begann der Flusswächter mit bedeutungsschwerer Stimme zu erzählen. »Die Kinder der Stadt verschwanden, und man hörte nie wieder von ihnen.«
»Erzähl ihnen nicht solche Schauergeschichten«, warf Julitas Großmutter ein, die gerade Wäsche faltete.
»Lass mich, Frau. So sind sie gewarnt
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