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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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bemühte sie sich stets, den Bedürftigen der Stadt zu helfen. Sie half sowohl jenen, die sich die Hände schmutzig machten, um nach einer vertrockneten Mohrrübe zu scharren, die sie essen konnten, als auch jenen, die ihre an Kälte gestorbenen Kinder in Säcken aus grobem Rupfen beerdigen mussten. Jeden Tag ging sie ins Kloster Santa Isabel, um sich dort mit derselben Hingabe wie die Nonnen um verlassene Kinder, Alte und Kranke zu kümmern. Und sie hätte selbst den Schleier genommen, wäre Abel nicht gewesen.
    Jenen Sommer durchlebten die beiden in einem süßen Aufruhr. Sie genossen die Stunden, die sie zusammen verbrachten, während sie sich allmählich von der Kindheit verabschiedeten und versuchten, sich im Erwachsensein einzurichten, ohne allzu sehr unter der Realität des Lebens zu leiden. Der Flusswächter erlaubte ihnen weiterhin, gemeinsam im Fluss zu baden, aber die Körper der Kinder hatten sich verändert, hatten sich an manchen Stellen gestreckt, an anderen gerundet. Sie merkten es, als sie irgendwann Hand in Hand tauchten und plötzlich von einer Hitze durchwallt wurden, die nichts mit den hohen Temperaturen zu tun hatte. Abel zog Julita sanft an sich und nahm ihre sanft geschwungenen Hüften wahr, ihre bebenden Beine … Ihre Gesichter näherten sich einander an, und sie liebkosten sich mit Nasen und Lippen, bis ihnen die Luft ausging und sie prustend an die Wasseroberfläche stiegen. Eine schier endlose Zeit trieben sie auf dem Wasser und sahen sich fragend an, atemlos nach Luft schnappend und überrumpelt von dieser lustvollen Entdeckung, bis sie schließlich in Lachen ausbrachen.
    Von da an änderten sich die Nachmittage am Fluss vollständig. Unter Wasser fühlten sie sich vor allem Bösen geschützt, versunken in einer Welt, deren einzige Bewohner sie waren und in der es erlaubt war, sich zu liebkosen bis zum Wahnsinnigwerden. Sie liebten sich, und ihre Gefühle spiegelten sich in ihren leuchtenden Augen wider, den rosigen Lippen, den Schatten im Gesicht und dem stillen Lächeln. Julia bemerkte nichts, wohl aber Monsieur Verdoux, der feststellte, dass sein Schüler im Unterricht abwesend war und die Lust daran verlor, über Musik zu diskutieren oder ein Gedicht zu besprechen. Am meisten allerdings störte ihn sein zunehmendes Desinteresse am Schach.
    »Heute haben wir keine einzige Partie gespielt«, sagte er eines Tages, als Abel es wieder einmal eilig hatte, zu seiner Freundin zu kommen.
    Daraufhin blieb der Junge stehen, drehte sich um und gab lächelnd zur Antwort: »Ich habe keine Freude mehr am Schach, Monsieur.«
    Monsieur Verdoux blickte nachdenklich zu der Wand mit dem Schlussstein.
    »
Hic latent ludi regulae
«, flüsterte er, bevor er langsam die Augen schloss.
    ***
    MONSIEUR VERDOUX ÜBERZEUGTE Doña Julia davon, dass es sich für Abel nicht schickte, halbnackt im Fluss herumzuplanschen wie ein Frosch, mit bloßen Füßen durch den Schlamm zu staksen und sich der sengenden Sonne auszusetzen wie ein Kartoffelbauer. Die vornehmste Lösung, um die Hitze der Hundstage zu ertragen, sei es, eine Badewanne aus Frankreich kommen zu lassen.
    »Das ist der letzte Schrei«, erklärte er.
    Seit die Muslime die spanische Halbinsel verlassen hatten, wurde die Angewohnheit, ins Wasser zu steigen und sich abzuseifen, mit Argwohn betrachtet. Die Kirche behauptete, die geistige Reinheit sei sehr viel wichtiger als die körperliche. Häufiges Baden sei ungesund und zudem ein höchst verwerfliches Laster.
    »Das kommt daher, dass die meisten Pfarrer, die das behaupten, nicht in Sevilla leben«, urteilte Monsieur Verdoux. »Die sollten mal einen August hier verbringen; das würde ihnen den Glauben an die wohltuende Barmherzigkeit des kühlen Wassers zurückgeben.«
    Die Badewanne kam in einer riesigen Holzkiste aus Frankreich, die an die Kiste eines Zauberkünstlers erinnerte. Später diente sie der Aufbewahrung von Gerümpel auf dem Dachboden und beherbergte das eine oder andere Mäusenest. Die Wanne war aus Gusseisen und innen mit Email beschichtet. Sie war rot lackiert und hatte goldene Füße, die an Löwentatzen erinnerten. Sie wurde in Julias Zimmer aufgestellt und hinter einem Wandschirm verborgen. Als Mamita Lula sie zum ersten Mal sah, regte sie sich furchtbar auf.
    »Dieses Monstrum kann doch nur eine Erfindung der Franzosen sein«, schimpfte sie. »Wer weiß, was sie für schmutzige Sachen darin treiben. Wir brauchen dieses Ding nicht. Wasser sollte man nur in Maßen benutzen! Aber dieses

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