Der Turm der Seelen
ich nie über Sie gedacht.»
«Es liegt daran, dass da drin
wirklich
irgendwas passiert ist, stimmt’s?»
Sie atmete tief ein. «Also gut. Es ist wirklich etwas passiert.»
«Dann erklären Sie es mir. Ich bin schließlich derjenige, der hier wohnen muss.»
«Erklären
Sie
mir lieber mal etwas. Was fällt Ihnen zum Thema Schwefel ein?»
«Warum?»
«Gibt es irgendetwas hier, das Schwefeldampf ausdünsten könnte … oder früher ausgedünstet hat?»
«Jetzt nicht mehr. Heute nicht mehr.»
«Soll heißen?»
Er zuckte mit den Schultern. «Ich zeige es Ihnen.»
Sie folgte ihm in die Küche. Das Halbdunkel wirkte mit einem Mal bedrückend – oder bildete sie sich das nur ein? Er ging direkt zu der Wand, an der die alten Gerätschaften hingen, und holte einen kurzen Stab herunter, an dem eine Art Aschenpfanne befestigt war. Er roch daran.
«Ich rieche nichts mehr.» Er hielt ihr das Gerät entgegen. «Sie?»
«Was ist das?»
«Wie ich mir habe sagen lassen, nannte man das ein Schwefelblech. Man benutzte es, um Schwefelrollen in den Brennofen zu schieben.»
«Und warum wurde das gemacht?»
«Das war ein Räucherverfahren. Anscheinend hat es den Hopfen auch gelb gefärbt, was die Brauer aus irgendeinem Grund bevorzugten. Vielleicht hat ihr Bier dann noch mehr nach Pisse ausgesehen, was weiß ich. Ich glaube nicht, dass das heute noch gemacht wird.»
«Könnte es für Stewart Ash einen besonderen Grund gegeben haben, sich für Schwefel zu interessieren? Können Sie sich irgendetwas denken, das …»
«Sie wollen sagen, Sie hätten Schwefelgeruch wahrgenommen.»
«Sogar sehr stark.»
Er legte erneut den Kopf schräg. «Feuer und Schwefel … Merrily?»
«So hat es gerochen. Man könnte natürlich einwenden, dass das nur ein subjektives Empfinden war.»
«Ooh …
subjektiv
.» Stock hielt den hölzernen Schaft des Schwefelblechs mit beiden Händen wie einen Spaten. «Das ist doch mal ein richtig schönes Psychologen-Wort. Warum fragen wir nicht
Lol
, was er davon hält?»
«Wie Sie schon sagten, hier läuft auffällig oft etwas schief. Ein paar kleine Ereignisse, die zusammengenommen eine Atmosphäre von
Entladungen
erzeugen. Das muss aber nicht unbedingt etwas mit Stewart Ashs Tod zu tun haben.»
«Entladungen?»
«Ich würde
wirklich
gern noch einmal wiederkommen, Mr. Stock.» Sie sah Lol an der Küchentür auftauchen. «Wie wäre es mit heute Abend?»
«Was wollen Sie tun?»
«Es gibt ein paar Dinge …»
Stock schleuderte das Schwefelblech auf den Fliesenboden, auf dem es mit einem lauten Kreischen weiterschlidderte.
«Sie haben doch keine Ahnung von der ganzen Materie, verdammt. Sie stochern bloß im Nebel, stimmt’s?», knurrte Stock.
Lol betrat die Küche.
«Nein … gehen Sie raus … alle beide.» Stock nahm den Kelch und die Tupperdose mit den Hostien vom Tisch, stopfte sie in die Airline-Tasche und ließ die Tasche vor Merrilys Füßen auf dieFliesen fallen. «Mit Ihnen habe ich nur meine Zeit verschwendet, Merrily. Ich hatte ja schon gehört, dass Sie nur aus strategischen Gründen in dieses Amt gehoben worden sind.»
Merrily biss sich auf die Lippe.
«Da war ich mit dem verdammten Arschloch noch besser dran», sagte Stock.
«Na dann …» Lol nahm die Tasche. «Das klingt ehrlich gesagt sehr beruhigend. Ich hatte vorhin beinahe schon befürchtet, du wärst vom Geist eines netten Menschen besessen.»
Stock sah ihn nur schweigend an und richtete seinen Blick dann wieder auf Merrily. Er wartete darauf, dass sie gingen.
An der Tür blieb Merrily noch einmal stehen. «Ich würde gerne noch einmal wiederkommen. Und wenn nicht ich, dann sollte jemand anders kommen.»
«Jetzt gehen Sie schon», sagte Stock.
22 Barnchurch
«Merrily!» Charlie Howe stand auf und warf seinen
Telegraph
auf einen Tisch in der Hotellobby. Er trug einen knittrigen hellen Anzug und eine gelbe Krawatte mit aufgedruckten Kussmündern. Er wirkte sehr erfreut, dass Merrily gekommen war, legte ihr den Arm um die Schultern und steuerte sie ins Café. «Was haben Sie da bloß für einen Beruf, junge Frau. Müssen sich an so einem schönen Sommertag mit Teufel und Dämonen abgeben!»
Sie hatte ihre Soutane abgelegt und trug wieder das T-Shirt . «Woher wussten Sie, dass ich keine Trauung habe?»
«Kontakte.» Charlie tippte sich an seine lange Nase.
«Dafür wird Sophie noch büßen.»
«Als mir Mrs. Hill gesagt hat, wo Sie sind, da wusste ich aufgrundmeiner vierzigjährigen
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