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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Lol, der praktisch niemals jemanden bewertete und noch seltener jemanden verurteilte – weil er selbst ein Verlierer und ein Feigling war, wie er behauptete.
    Stock ging ins Wohnzimmer vor. Sie hielt ihn auf, indem sie ihm die Hand auf den Arm legte.
    «Gerard, ich glaube,   … ich sollte zuerst hineingehen.»
    Konnte man sich noch lächerlicher anhören, wenn man die kleinste Person von allen war und gerade den schlagenden Beweis für seine vollkommene Inkompetenz geliefert hatte? Sie sah, wie Stephanie ein Lächeln unterdrückte.
«Und dann sagt sie auch noch: ‹Gerard, ich sollte zuerst hineingehen   …›» Brüllendes Gelächter.
    Im Wohnzimmer nahm sie nur einen leicht muffigen Geruch wahr, der von den beiden schweren Sesseln und dem klobigen Sofa aufstieg. Merrily bat Gott darum, alle, die sich in diesem Raum begegneten, in Freundschaft und Liebe zu vereinen. Es klang abgedroschen und hohl. Über einem Holzofen hing das gerahmte Foto eines jüngeren, schlankeren Gerard Stock, der von Fernsehprominenz umgeben war.
    «Schlafzimmer?»
    Sie hätte natürlich vorher feststellen müssen, wo das Schlafzimmer lag. Sie hätte es sich ansehen müssen. Hätte einen Rundgang durch das gesamte Haus machen müssen.
    «Durch die Tür dort», sagte Stock, «und dann links die Treppe hinauf.»
    «Danke.»
     
    Das Schlafzimmer war schwindelerregend.
    Lol kam als Letzter die schmale Holztreppe herauf, die kaum mehr war als eine Dachbodenleiter, die dort hindurchführte, wo früher wahrscheinlich eine Klapptür gewesen war. Dann stand er bei den Stocks und Merrily auf dem Zwischenboden, auf dem einst der Hopfen zum Trocknen ausgelegt worden war. Inzwischen war ein geschlossener Dielenboden verlegt worden, doch man fühlte sich irgendwie trotzdem nicht sicher dort oben – vielleicht weil man beim Heraufkommen direkt in die Spitze des enormen kegelförmigen Dachgebälks hinaufsah, ins Innere des Hexenhutes der Hopfendarre.
    Jemand hatte das Licht angeschaltet – metallvergitterte Schottlampen, die an die schrägen Wände gedübelt worden waren   –, und das war auch gut so, denn die einzigen Fenster dort oben hatten allenfalls die Ausmaße von Schießscharten in einem Glockenturm. In einer stürmischen Nacht, dachte Lol, musste es in diesem Schlafzimmer entweder wahnsinnig aufregend oder extrem beängstigend sein.
    «Hier oben ist noch eine Menge zu tun, wie Sie sehen», sagte Stephie Stock, als würde sie potenzielle Käufer herumführen.
    «Halt die Klappe», zischte Stock.
    Was für eine Verwandlung: Der herrische, laute Stock war nervös und unsicher geworden. Der Schwadroneur Stock zeigte sich nüchtern und angespannt. Er stand mit dem Rücken zu Stephanie. Und zum Bett.
    Das ungemachte Doppelbett war das einzige Möbelstück im Raum – abgesehen von einem modernen Einbauschrank, dessenTüren Merrily nun öffnete. Stephie setzte sich auf die Bettkante und schlug lässig die Beine übereinander. Lol nahm einen leicht säuerlichen Geruch wahr. Vielleicht hatten sie ja Hopfenkissen   … oder hing hier noch der Geruch von Millionen raschelnder Hopfenzapfen?
    Schlaf? Dieser verdammte Hopfen wirkt wie pulverisiertes Rhinozeroshorn. Das ist eine verdammte Tatsache, Mann. Ich und Steph, wir wohnen in dieser alten Hopfendarre, die Wände sind dermaßen vollgesogen mit Hopfenessenz, wie   … wie das Bier, das der arme alte Derek nicht zapfen kann. Meine Frau   … zerkratzt mir den Rücken, als wäre sie eine Wildkatze. Willst du mal sehen?
    Der andere Gerard Stock. Der seine Frau nicht mit in den Pub brachte.
    Vom Bett aus warf Stephanie Lol ein verschwörerisches Lächeln zu. Ihr goldbraunes Haar war verführerisch zerzaust, ihre Augen blickten wissend, und sie war jetzt die Einzige im Raum, die vollkommen entspannt wirkte.
    Lol reagierte mit einem knappen Lächeln und drehte sich dann zu Merrily um. Irgendetwas war unten passiert, vielleicht hatten ihr ja nur die Nerven einen Streich gespielt, und jetzt hatte sie sich wieder erholt. Inzwischen ging sie mit ihrem Weihwasserfläschchen an der schrägen Wand entlang. Sie wirkte irgendwie verloren, verletzlich, wie ein Kind.
    Er kam sich nutzlos vor – schlimmer, er glaubte nicht an diese Sache. Er glaubte nicht, dass diese Aktion irgendetwas bringen würde, schon gar nicht dem Mordopfer. Er wusste nicht, warum sie in Wirklichkeit alle hier waren, was Stock tatsächlich bezweckte. Er fühlte sich überflüssig, wie das fünfte Rad am Wagen. Er hatte den Eindruck, dass

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