Der Turm der Seelen
diese Leute sich über Merrily lustig machten. Er musste sich beherrschen, um dieses Theater nicht zu beenden, eine Erklärung zu fordern – was Prof Levin schon längst getan hätte, stilvoll und gewandt.
Nur zwei von ihnen nahmen die Sache noch ernst, wollten weitermachen.
«Steh auf», sagte Stock erschöpft zu seiner Frau. «Bitte.»
Stephie kam träge auf die Füße und stellte sich neben das Bett. Merrily trat in die Mitte des Raums, und sie formten einen kleinen Kreis, wobei die Dielenbretter unter ihren Schritten knarrten.
«Herr unser Gott und himmlischer Vater», begann Merrily, «Du, der Du niemals ruhst noch schläfst, segne dieses Schlafzimmer …»
Wieder flogen Wassertropfen durch die Luft wie Diamanten. Nun war das Schlafzimmer offiziell rein und gesegnet, doch Lol konnte keinerlei Veränderung wahrnehmen. Dann ging Merrily mit dem Fläschchen in der Hand zum Treppenaufgang und drehte sich zu dem Bett um.
«Herr unser Gott …» Ihre Stimme war lauter geworden, Lol meinte Trotz herauszuhören. «Heilige, gesegnete und glorreiche Dreifaltigkeit.» Sie bekreuzigte sich mit der Rechten. «Segne …» Noch ein Kreuz. «… heilige und …» Wieder eins. «… weihe dieses Haus, auf dass Freude und Glück, Friede und Liebe, Gesundheit und …»
Das Geräusch kam unter ihrem Chorhemd heraus. Merrily zog scharf den Atem ein, schloss die Augen und machte weiter.
«… Güte in ihm wohnen und Dankbarkeit für Deine Gnade … Vater, Sohn und …»
Es hörte nicht auf. Der Ton bohrte sich schrill in die Luft, durchbohrte das Gebet wie ein Bratspieß.
«… Heiliger Geist», Merrilys Stimme schwankte. «Und lass Deinen Segen auf diesem Haus ruhen und auf denen, die …»
Mit schallendem Gelächter ließ sich Stephanie Stock rücklings auf das Bett fallen. Der Träger ihres Kleides rutschte ihr von der Schulter, sodass ihre linke Brust halb entblößt war und man zwei hellrote Kratzer sehen konnte, die von der Brustwarze aus aufwärts liefen.
«Ich schätze, Sie gehen besser dran, Frau Pfarrer», kreischte Stephanie, der inzwischen vor Lachen die Tränen kamen, «vielleicht ist ja Gott am Apparat!»
Mittagszeit. Die Sonne verbreitete eine brutale Hitze. Globale Erwärmung – das war so unbritisch. Merrily lehnte sich mit dem Rücken an die Außenmauer. Dann zog sie das Chorhemd aus und verbarg einen Moment lang ihr Gesicht darin.
«Es tut mir … unheimlich leid.»
«So was kommt vor.» Stock stand neben ihr. Er roch nach saurem Schweiß.
«Ich habe es ausgeschaltet. Ich war sicher, dass ich es ausgeschaltet habe. Ich erinnere mich sogar
ganz genau
daran, dass ich es ausgeschaltet habe.»
«Sie verstehen es nicht.» Er beugte sich zu ihr, mit einem Mal wirkte er beinahe aggressiv. «Solche … Dinge … passieren hier. Sie passieren einfach. Ich dachte, Sie kennen sich mit so was aus.»
In der Tasche von Merrilys Soutane begann wieder das Handy zu läuten.
«Gehen Sie ran», sagte Stock. «Los … gehen Sie ran. Es wird keiner am Apparat sein. Das garantiere ich Ihnen.»
«Geh nicht», sagte sie.
« Du
musst nicht gehen.»
Sie hatte die Schuhe abgestreift, saß mit hochgerutschtem Rock am oberen Ende des Bettes und lehnte den Kopf an die Wand. Sie hob eine Hand. Es klickte zwei Mal, und zwei der Schottlampen erloschen, sodass nur noch die Lampe über dem Bett brannte. Stephie saß jetzt im Schatten, und es gab keinen Zweifel mehr. Sie war die Frau aus seinen Träumen.
«Sieh mal.» Sie beugte sich an der Seite des Bettes hinab und griff darunter. Ein Rascheln erklang. «Erinnerst du dich?»
Merrily war zuvor eilig hinausgehastet und beinahe die Treppehinuntergefallen, ihr Handy klingelte immer noch. Anscheinend konnte sie es nicht ausschalten. Stock folgte ihr, und auch Lol wollte gerade hinterher, als Stephanie nach ihm gerufen hatte wie eine lüsterne Sirene im Tennis-Dress, dessen Träger ihr nun alle beide von den Schultern gerutscht waren. Sie sah an sich hinab, dann zurück zu Lol und blinzelte, als versuche sie aufzuwachen. «Er wird nicht zurückkommen», sagte sie schnell. «Er wird die Pfarrerin hinausbringen, und dann geht er in den Pub, säuft sich um den Verstand, torkelt nach Hause, wenn es hell wird, bricht auf dem Sofa zusammen und fängt an zu grunzen, wie das armselige Schwein, das inzwischen aus ihm geworden ist.»
«Das tut mir leid.»
«Worum sollte es einem da leidtun?» Sie hob den Zeigefinger, um ihn
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