Der Turm der Seelen
Sie nur in die Sache hineinziehen», sagte Merrily. «Danke, aber vergessen Sie es. Außerdem muss ich sowieso nach Hause und die Katze füttern.»
«Dann rufen Sie Gomer Parry an. Er hat doch einen Schlüssel zum Pfarrhaus, oder?» Sophie wusste einfach alles. «Es sei denn, Mr. Robinson hat einen besseren Vorschlag.»
Auf den Feldern zu beiden Seiten der Straße lag das gemähte und gewendete Heu wie eine kabbelige grüne Meeresdünung. Die Straße, die Felder und der Wald lagen im Schatten, die Hügel der Malverns aber leuchteten im Sonnenuntergang.
Der Anblick war beglückend schön. Und ja, Merrily musste es zugeben, kein Mensch würde auf die Idee kommen, hier nach ihr zu suchen.
Im Auge des Sturms. Merrily steckte sich eine Zigarette an. In Wahrheit fürchtete sie sich ein bisschen. Eine nervöse Unruhehatte sich in ihr breitgemacht – oder die elektrisierende Gänsehautangst davor, dass ihr eine weitere Enthüllung bevorstand.
Lol hatte sie zurück ins Pfarrhaus von Ledwardine gefahren, wo sie eine Tasche gepackt und Gomer angerufen hatte. Gomer war innerhalb von Minuten da gewesen. Sie hatte ihn gefragt, ob er noch an diesem Abend einziehen, die Katze füttern und die Presseleute vom Gelände scheuchen könnte. Er hatte schon einmal das Haus gehütet, als Merrily und Jane bei einer Hochzeit in Northumberland festsaßen. Seit Gomer Witwer war, liebte er seine Rolle als Beschützer von Merrily und Jane noch mehr … abgesehen davon brachte sie ihn näher ans Zentrum des Geschehens. Der gute alte Gomer.
«Ferien.» Merrily zog an ihrer Zigarette, lehnte ihren Kopf an die zerschlissene Rücklehne des Beifahrersitzes und schloss die Augen. «Wie ist das nochmal?»
«Langweilig», sagte Lol. «Soweit ich mich erinnere.»
«Als Jane noch jünger war, sind wir ab und zu für ein paar Tage weggefahren. Aber jetzt schon länger nicht mehr.»
«Wie geht es ihr denn?»
«Sie tobt. Anscheinend glaubt Eirions Stiefmutter, dass Jane nichts lieber tut, als Kindermädchen für ihre Jüngsten zu spielen.»
«Ziemlich riskant, was diese Stiefmutter da macht.»
Lol verlangsamte die Fahrt und bog in einen schmaleren Weg ein, zu dessen Seiten sich üppiges Grün in Richtung der erwachenden Sterne hinaufwand. Merrily spürte, wie angespannt Lol war. «Was hast du mir nicht erzählt, Lol?», fragte sie.
Lol sah den Weg zwischen den Hopfenfeldern entlang und schaltete die Scheinwerfer an. «Wie lange
genau
bist du eigentlich schon Pfarrerin?», sagte er.
Sie erkannte die Kirche wieder, die im tiefen Schatten am Ufer des Flusses stand. Im Pfarrhaus brannte ein einzelnes Licht. Es gehörte zu der Art Licht, das man brennen lässt, wenn man abends ausgeht und es so aussehen lassen will, als wäre jemand zu Hause.
Lol steuerte den Astra langsam durch das Dorf, wenn man überhaupt von einem Dorf sprechen konnte. Vor dem Pub standen mehrere Autos. Eines davon war ein Kombi, dessen Heckklappe offen stand. Gerade hob ein Mann ein schwarzes Stativ aus dem Kofferraum.
«Haben nicht lange gebraucht, was?»
Im Schritttempo fuhr Lol vorbei. Es gelang ihm sogar, dem Mann einen misstrauischen Blick zuzuwerfen, als wäre er ein echter Einheimischer in seinem ramponierten alten Auto. Subtil.
«In Profs Studio ist Platz»,
hatte er gesagt.
«Es ist noch nicht alles fertig, aber es ist alles da, was man braucht.»
Und wer wäre sonst noch dort?
«Nur ich. Ich hause auf einem Heuboden über den alten Stallungen.»
Die Straße schlängelte sich aus dem Dorf, stieg sanft an und senkte sich wieder. Die Malverns verschwanden und tauchten wieder auf, sie waren mit Lichtern besetzt wie mit blitzenden Edelsteinen, die ein Juwelier auf sein Samttablett gestreut hatte.
«Wird das etwas nützen?», fragte Merrily. «Dass wir hierherkommen?»
«Vertrau mir, ich bin schließlich ein Azubi-Psychotherapeut mit Zweifeln an seiner Berufswahl.»
« Ich
bin zwar keine Psychotherapeutin», sie drückte ihre Zigarette aus und drehte sich um, damit sie Lol direkt ansehen konnte, «aber ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass du meistens selbst wegen irgendetwas beunruhigt bist, wenn du anfängst, solche Witze zu machen.»
Lol fuhr durch einen Durchlass in der Hecke, ließ das Auto sehr langsam einen Abhang hinunterrollen und hielt schließlichan. Merrily erkannte die Umrisse von Gebäuden, sah jedoch kein Licht. Was hatte sie erwartet?
Prof Levin Studios
in Neonschrift?
«Vor der Dunkelheit fürchtest du dich
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