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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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besuchte eine Familie in einem großen alten Bauernhaus an der Küste von Pembrokeshire.
    Nicht, dass Jane übermäßig begeistert wirkte. Stattdessen hing sie träge und mürrisch herum. Vielleicht lag es an den Prüfungen und dem Wetter. Oder hatte sie Sorgen? Irgendwas, über das Merrily mit ihr reden sollte? Falls es in der kommenden Nacht ein Gewitter gab, war das erfahrungsgemäß mit einem Stromausfall verbunden, und dann wäre der rechte Moment für Kerzenlicht-Bekenntnisse am Küchentisch gekommen. Möglicherweise war das ihre letzte Gelegenheit für ein echtes Gespräch, bevor Jane für einen Monat verreiste und Merrily allein in dem Pfarrhaus mit den sieben Schlafzimmern zurückließ.
    Die Frau überquerte nun die Straße in Richtung der Dorfwiese. Merrily trat einen Schritt vor.
    «Mrs.   Shelbone?»
    «Guten Tag.» Sie wirkte weder überrascht noch neugierig.
    «Heute Vormittag hat mich Kanonikus Beckett angerufen», sagte Merrily. «Ich bin Merrily Watkins. Ich habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen   …»
    «Ich weiß. Der Moment war für mich zum Telefonieren ungeeignet. Es tut mir leid.» Sie sprach lebhaft, und aus ihrer Stimme klang der regionale Dialekt. «Ich wollte Sie heute Abend zurückrufen, um in aller Ruhe mit Ihnen sprechen zu können.»
    Dennis musste ihr gesagt haben, sie solle sich auf einen Anruf von der Beraterin für spirituelle Grenzfragen einstellen. Aber dann, so vermutete Merrily, war wohl das Mädchen, Amy, im Haus gewesen, als sie angerufen hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich, als wäre sie auf dem falschen Fuß erwischt worden, denn diese Frauhatte genau gewusst, wer sie war und was sie hier wollte, und jetzt setzte sie auch noch diesen altbekannten, entsetzten Blick auf, der bedeutete:
Sie haben das falsche Geschlecht, Sie sind zu jung, Sie sind zu klein
.
    Wie zur Selbstverteidigung legte sie ihre Hand auf ihr Halstuch. Mrs.   Hazel Shelbone nahm ihren Einkaufskorb in die andere Hand. Darin befanden sich zwei Dosen Bohnerwachs und ein paar ordentlich gefaltete gelbe Abstaubtücher. Keine Äpfel, keine Eier.
    «Wissen Sie, meine Liebe», sagte Mrs.   Shelbone. «Das ist kein sehr günstiger Platz zum Parken. Ich an Ihrer Stelle würde den Wagen ein Stückchen die Straße runterfahren. Sollen wir uns in fünf Minuten in der Kirche treffen?» Sie lächelte schief. «Am Tatort, gewissermaßen.»
     
    In der langgestreckten Kirchenvorhalle mit ihren gotischen, vergitterten Fenstern ohne Scheiben atmete Merrily ein paar Mal tief durch und sandte ein Stoßgebet zum Himmel.
    Einmal hatte Jane unschuldig gefragt:
Und wann statten sie dich mit einer schwarzen Arzttasche und einer Gummischürze zum Schutz gegen die grüne Galle aus, die den Leuten hochkommt?
    In Wahrheit hatte Merrily noch nie einen Menschen exorziert.
Beraterin für spirituelle Grenzfragen
mochte eine unbefriedigende Amtsbezeichnung sein, aber es war jedenfalls eine bessere Arbeitsplatzbeschreibung als
Diözesan-Exorzistin
. Aufwendige spirituelle Reinigungen waren schon immer nur als seltene, letzte Möglichkeit in Betracht gezogen worden.
    Sag mir, ob es hier wirklich um Besessenheit geht
, murmelte Merrily Gott zu.
Lass nicht zu, dass ich einen Fehler mache.
    Das Kirchenschiff lag nur ein paar Treppenstufen unterhalb der Vorhalle, doch die Kirche vermittelte einem das Gefühl, unter der Erde zu sein – es herrschte eine Atmosphäre wie in einer kühlen, düsteren Höhle. Außer Hazel Shelbone war niemand da.Sie wartete in einer Bank kurz vor der Chorschranke zum Altarraum, also dort, wo sich ihre Tochter – in den Worten von Dennis Becketts Enkelsohn – die Seele aus dem Leib gekotzt hatte.
    Mrs.   Shelbone stand halb auf. «Es tut mir leid, dass ich so kurz angebunden war, Mrs.   Watkins. Das alles ist sehr schwierig für uns.»
    «Ja.»
    «Ich   … möchte, dass Sie mich von Anfang an richtig verstehen. Ich bin Christin.
Und
Mutter.» Das sagte sie beinahe trotzig. Ihr breites Gesicht schimmerte in dem Licht, das durch die Bleiglasfenster hereinfiel.
    Merrily nickte. «Ich auch.»
    «Sie haben Kinder?»
    «Nur eins. Ein Mädchen. Es ist jetzt sechzehn.»
    Mrs.   Shelbone riss überrascht ihre braunen Augen auf. «Da müssen Sie ja bei Ihrer Hochzeit ein halbes Kind gewesen sein.»
    «So was Ähnliches. Mein Mann ist bei einem Autounfall umgekommen. Das ist schon lange her.»
    Der Kirchenraum wirkte eintönig und farblos. Die Fenster des Kirchenschiffs hatten keine Buntglasscheiben, nur

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