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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Shelbone lehnte sich mit dem Rücken an eine Säule am Ende der Bank. Sie will sich verteidigen, dachte Merrily.
Wenn sie so sicher ist, gibt es bestimmt noch etwas anderes, das sie mir nicht erzählt.
    Mrs.   Shelbone ging zum Altarraum und blickte nach vorn.
    «Ich komme hierher und poliere immer wieder das Stück der Chorschranke, über das sie sich erbrochen hat, und ich bete für ihre Erlösung, und ich falle auf die Knie und frage Gott, was unsere Familie getan hat, um das zu verdienen.»
    Merrily trat an ihre Seite.
    «Glauben Sie wirklich, dass Amy vom Bösen besessen ist?»
    «Von einem bösen Geist.»
    «Und Sie möchten, dass sie exorziert wird?»
    «Ich habe das Gefühl, dass wir etwas tun müssen.»
    «Ja, aber das ist   … etwas, das wir erst nach einem langen   … Es gibt dafür ein Verfahren, wissen Sie? Und als Erstes müssten wir die Meinung eines Psychiaters einholen.»
    Hazel Shelbone wandte sich nicht zu Merrily um. Ihr ganzer Körper war erstarrt.
    «Wir müssen sicher sein.» Merrily legte ihr eine Hand auf den Arm. «Was Ihnen oder mir im ersten Augenblick wie eine dämonische Besessenheit erscheinen mag, könnte auch der Ausdruck eines Nervenzusammenbruchs sein.»
    «Hochwürden Watkins   …» Hazel Shelbone starrte zum gekreuzigten Jesus auf dem Fenster über dem Altar empor. «David und ich haben unsere Erfahrungen mit Problemkindern gemacht, das kann ich Ihnen versichern. Wir hatten Kinder aus geschiedenen Ehen   … Kinder, deren Eltern in die Psychiatrie eingeliefert worden waren   … gestörte Kinder, ein Kind, das weggelaufen ist, nachdem es unser Wohnzimmer verwüstet hatte. Es gibt wirklich nicht viel, was mir irgendwer noch über Kinderpsychologie erzählen könnte.»
    «Wir müssen sicher sein», wiederholte Merrily und trat einen Schritt zurück, als die große Frau zu ihr herumwirbelte.
    «So weit ist es also gekommen? Ist die Kirche jetzt zu einer Zweigstelle des Sozialamtes geworden? Muss ich irgendwelche Formulare ausfüllen? Mrs.   Watkins, es ist ganz einfach – ich möchte, dass die Dunkelheit ausgetrieben wird, sodass Gott wieder in das Herz meiner Tochter einkehren kann. Ist das von einer Pfarrerin zu viel verlangt?»
    «Nein. Das sollte nicht zu viel verlangt sein.»
    «Also?»
    Also brauchte Merrily einen Rat. All das klang nach derunvermittelten Ablehnung elterlicher Werte durch eine Heranwachsende, aber man konnte nie genau wissen. Bevor sie irgendetwas unternahm, musste sie wenigstens mit Huw Owen drüben in Wales sprechen. Der, so viel war klar, von ihr erwartete, dass sie dieses Dorf nicht ohne ein Gebet, und zwar wenn möglich
mit
diesem Mädchen, verlassen würde.
    «Mrs.   Shelbone», sagte Merrily behutsam. «Gibt es irgendetwas, das Sie mir nicht erzählt haben?»
    «Ich weiß nicht, was Sie meinen.» Die Antwort kam viel zu schnell.
    «Es ist nur – wenn Sie Ihre Tochter der Belastung aussetzen wollen, die eine spirituelle Reinigung bedeutet   …»
    «Sie weiß Dinge», murmelte Hazel Shelbone.
    «Was für Dinge?»
    «Dinge, die sie nicht wissen sollte. Dinge, die sie nicht wissen
kann

    «Was   … zum Beispiel?»
    Mrs.   Shelbone neigte kurz den Kopf und verließ dann den Altarraum. «Manchmal sieht sie mir in die Augen und erzählt mir Sachen, die sie unmöglich wissen kann.»
    Sie ging eilig auf den Mittelgang zu, wo ihr Einkaufskorb bei der vordersten Bank auf den Holzdielen stand.
    «Na gut.» Merrily folgte ihr. «Wo ist sie jetzt?»
    «Zu Hause, vermute ich, in ihrem Zimmer. Sie verbringt die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Ich gehe jetzt besser. Ihr Vater wird in einer Stunde nach Hause kommen.»
    «Wollen wir uns nicht ein bisschen mit ihr unterhalten?», schlug Merrily vor.

5   Al und Sally
    Wie ein bezauberndes Mädchen, dachte er: blass und anmutig und schlank.
    Lol war verliebt. Seit er das Museum betreten hatte, war er kaum fähig gewesen, etwas anderes anzusehen. Immer wieder wanderte sein Blick zu dem Alkoven zurück, über den üppige Blattranken drapiert waren.
    Der Mann, der an dem Verkaufstresen voller Bücher und Flyer stand, beobachtete ihn lächelnd. Er trug ein weißes Leinenjackett von edwardianischer Länge und mochte etwa Mitte sechzig sein. Sein weißes Haar war lang, sein prominentes Kinn verlieh ihm etwas Koboldhaftes, und er trug winzige goldene Ohrringe. Er deutete auf den Alkoven. «Nur zu.»
    Lol trat ein paar Schritte näher, berührte sie jedoch nicht.
    Das Schallloch war mit einer Einlegearbeit aus

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