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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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mitzunehmen. Ich schätze, dass sie auf dem Sammlermarkt in ein paar Jahren über zehntausend Pfund bringt.»
    Lol war immer noch leicht verwirrt. «Hat er mit Prof Platten aufgenommen?»
    «Mr.   Levin hat immer Auftrittsmöglichkeiten für Al gefunden, wenn wir Geld brauchten. Er ist ein sehr gutherziger Mann, und er ist sehr von Ihnen eingenommen. Er will nicht, dass Sie in eine Sackgasse geraten.»
    «Ach, manchmal ist es gar nicht so schlecht, ein bisschen in der Sackgasse festzusitzen», sagte Lol.
    Sie zog eine Augenbraue empor. «So etwas kann Al sagen. Aber Sie und ich, wir sind keine Roma. Wenn wir in einer Sackgasse landen, drehen wir uns nicht einfach lachend um und gehen zurück, als wäre nichts passiert.»
    Lol war neugierig. «Wusste Prof, dass Al hier lebt, als er das Cottage gekauft hat?»
Ich habe viel für die Roma übrig
, hatte Prof gesagt.
    «Das war reiner Zufall, obwohl Al natürlich Simon St.   John kannte. Irgendwie kennt man sich ja immer in Musikerkreisen, oder?»
    Lol fragte sich, wie diese höchst britische Dame dazu gekommen war, sich mit Al Boswell zusammenzutun, einem Roma, wie er im Buche stand, obgleich sie ihn offenkundig von seinem Nomadenleben weggelockt hatte.
    «Aber Prof erwähnte, dass Sie sich für das Frome-Tal interessieren», sagte Sally. «Also erzähle ich Ihnen etwas darüber   … manche Aspekte des Lebens hier sollten wirklich nicht in Vergessenheit geraten, und nichts hält Erinnerungen so wach wie Lieder. Abgesehen davon fließt der Frome durch diese Gitarre – dieses Stück geädertes Eibenholz, das stammt vom Rückschnitt eines über tausendjährigen Baumes auf Simons Friedhof, und hier sehen Sie ein Stück Uferweide vom Fluss. Die Roma gehen sehr rücksichtsvoll vor, wenn sie sich etwas nehmen. Sie sind mit leichtem Gepäck auf der Welt unterwegs.» Sie führte Lol in dennächsten Raum. Hopfenranken waren um die Balken geschlungen (es herrschte Stille, doch sobald Lol die Ranken sah, meinte er sie rascheln zu hören, und ein Schauer überlief ihn). Weitere vergrößerte Fotografien hingen unter Lichtspots: Männer mit flachen Kappen, Frauen in buntgemusterten Kleidern, auf dem Kopf Baskenmützen oder Kopftücher. Lachende Menschen. Die seltsame Traurigkeit erstarrten Frohsinns.
    «Bevor in den sechziger Jahren Erntemaschinen eingeführt wurden, war die Hopfenpflückerei ein sehr multikulturelles Ereignis», erklärte Sally Boswell. «Also   … vor allem waren es vier Kulturen, die dabei aufeinandertrafen. Die Ansässigen aus der Gegend, die Waliser, die Dudleys – wie wir sie nannten – aus dem Black Country und die Zigeuner.»
    Sie erzählte ihm, dass zur Pflückzeit im September die übliche Bevölkerungszahl der Region um das Achtfache oder Zehnfache anstieg und dass dadurch die ansässige Bevölkerung viel weniger isoliert lebte, als es in anderen ländlichen Regionen der Fall war. Die Hopfenmeister brachten die Pflücker in ausgedehnten Barackensiedlungen unter, und in den Pubs drängten sich jeden Abend die Leute – ständig musste die Polizei irgendwelche Streithähne trennen.
    Lol betrachtete ein Foto, auf dem das Lächeln der Menschen gezwungener wirkte als auf den anderen Bildern und auf dem von den Wagen und Kochfeuern aus manch finsterer Blick in Richtung des Fotografen geworfen wurde.
    «Ah ja», sagte Sally. «Wann hätte sich das fahrende Volk schon jemals gerne fotografieren lassen? Sie lagerten immer ein Stück abseits, verhielten sich aber ihren jeweiligen Arbeitgebern gegenüber normalerweise sehr ehrlich und loyal. Am liebsten kehrten sie Jahr für Jahr zur selben Arbeitsstelle zurück.»
    «War Al auch hier?»
    «Eine Zeitlang.»
    «Haben Sie sich so kennengelernt?»
    «Die Roma können sehr charmant sein.» Sie lächelte nicht. «Und genauso gut können sie einen bis aufs Blut reizen.»
    Inzwischen stand Lol vor dem Bild eines Mädchens, das lachend in einer der Hopfenkrippen lag, während mehrere Männer im Kreis um sie herum standen.
    «Das nannte man
Krippen
», erklärte Sally. «Kurz bevor die Pflückaktion beendet war, wurde ein unverheiratetes Mädchen gepackt und zusammen mit dem letzten Hopfen in die Hopfenkrippe geworfen. Die unausgesprochene Bedeutung lag darin, dass auch dieses Mädchen von jemandem ‹gepflückt› werden könnte, bevor der Hopfen im nächsten Jahr wieder die Gerüste überrankt hätte.» Sie blickte Lol ernst an. «Al und ich haben uns kennengelernt, als ich anfing, mich zur   … Roma-Kultur

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