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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Jesus-Gesicht auf dem Bild, und Jesus lächelte sie auf seine wissende Art an.
    Merrily schloss erneut die Augen, ließ die Arme an den Seiten herabhängen und versuchte sich zu sammeln.
    Mrs.   Shelbone sagte:
«Oh mein Schatz, es tut mir so leid, aber du   …»
    «Geh weg. Geh einfach weg.»
    «Wir wollen dir doch nur   …»
    «Ihr könnt mir nicht helfen. Niemand kann mir helfen.»
    «Der liebe Gott kann dir helfen, Amy.»
    Erneute Stille. Kein Schniefen, kein Schluchzen. Dann, als Merrily sich straffte, sagte Amy:
«Es gibt überhaupt keinen lieben Gott. Wie dumm bist du eigentlich?»
    «Amy!»
    «Das alles ist nur ein kranker, grausamer Witz! Da draußen ist niemand, der uns beschützt. Oder wenn   … wenn Gott wirklich existiert, dann hasst er uns. Er sieht zu, wie wir leiden und sterben, und er tut nicht das Geringste, um uns zu helfen. Er hilft uns nie, nie, nie! Es gefällt ihm noch, uns leiden zu sehen! Du kannst bitten und flehen so viel du willst, und du kannst dir den Mund fusselig beten, und trotzdem wird dich niemals jemand retten. Das alles ist eine einzige kranke Lüge! Und die Kirche ist einfach nur eine riesige   … Verschleierungsorganisation. Stinkend und muffig und voll toter Leute, und ich will nicht   … ich will nicht sterben, wenn ich in einer   …»
    Merrily lehnte sich an die Wand. Christus lächelte sie traurig an. Die Tür zu Amys Zimmer wurde geöffnet. Hazel Shelbone stand mit versteinerter Miene vor ihr. «Mrs.   Watkins? Würde es Ihnen etwas ausmachen   …?»
    «Wag es bloß nicht, sie hier reinzubringen! Ich werde nicht mit ihr sprechen, hast du verstanden?»
    Merrily ging weiter auf die Eingangstür zu. Dieses Kind war wirklich von irgendetwas aus der Bahn geworfen worden. Und wenn es kein cooler Junge war, wie wäre es dann mit einem coolen, überzeugenden atheistischen Schullehrer?
    Sie flüsterte: «Hazel, ich   … glaube, es wäre besser, wenn Amy aus ihrem Zimmer käme, und   …»
    «Ich warne dich: Wenn sie hier reinkommt, werfe ich das Fenster ein. Hast du gehört? Ich werfe das Fenster ein und haue ab, für immer! Ich werfe den Stuhl durch die Scheibe. Hörst du   …?»
    «Es tut mir leid.» Mrs.   Shelbone zog Amys Zimmertür hinter sich zu. Neue Falten und Schatten lagen auf ihrem offenen, ehrbaren Gesicht. «Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sie war noch nie so, das schwöre ich Ihnen.»
    «Ihr lügt mich immer nur an. Nichts als Lügen, Lügen, Lügen!»
     
    Merrily öffnete die Haustür und ging, gefolgt von Amys Mutter, die Stufen zum Gartenweg hinunter.
    Der Bungalow war freistehend, aber ziemlich klein. Rechts und links der Haustür befand sich ein Erkerfenster. In der Nähe standen weitere Häuser, die jedoch durch hohe Hecken und Gärten voller Bäume und Büsche abgetrennt waren.
    Der Himmel hatte eine friedhofsgraue Färbung angenommen. Dagegen sah ein kleiner, gelber Sportwagen, der halb auf dem Grünstreifen geparkt war, beinahe unanständig grell aus.
    «Hazel, was hat sie mit den Lügen gemeint?»
    «Das weiß ich nicht. Ich habe es Ihnen ja schon gesagt. Das ist nicht meine Amy. Ich weiß nicht, wie sie dazu kommt, diese Dinge über Gott zu sagen.»
    Doch sie hielt den Blick beim Sprechen abgewandt, und Merrily dachte: Vielleicht weiß sie es doch   … oder sie ahnt jedenfalls irgendetwas.
    «Wie war sie in der Schule?»
    «Sie hat sich immer bestens betragen. Ihre Lehrer loben sie immer nur.»
    «Kennen Sie ihre Lehrer?»
    «Die meisten. Wir waren immer bei allen Elternabenden und so weiter. Wie es gute Eltern eben tun.»
    «Und was ist mit ihren Freunden?»
    «Sie   …» Ein Seufzer. «Sie hat nie viele Freunde gehabt. Sie ist sehr gewissenhaft und lernt viel. Sie hat immer geglaubt, dass sie das muss, weil   … na ja, sie ist intelligent, aber ein Genie ist sie nicht. Ich glaube, sie denkt, sie muss uns irgendwie dafür entschädigen, dass wir sie adoptiert haben. Sie will uns stolz machen, verstehen Sie? Gute Kinder, Kinder, die viel lernen, sind heutzutage in der Schule oft nicht so beliebt, oder?»
    «Ist sie von irgendwelchen Mitschülern schikaniert worden? Wissen Sie darüber etwas?»
    Aber Mrs.   Shelbone zeigte nach ihrem kurzen Vertrauensausbruch schon wieder ihre ursprüngliche Verschlossenheit. «Sehen Sie, Hochwürden Watkins, mit all dem habe ich nicht im Entferntesten gerechnet. Ich glaube, sie braucht einfach nur Gottes Liebe. Es bringt bestimmt nichts, ihr alle möglichen Fragen zu stellen.»
    Merrily

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