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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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hatte. Doch ihre Bewegungen
und ihr verschwommenes Lächeln hatten ihm gesagt, dass sie nicht verletzt war, von den Kratzern mal abgesehen, und dass sie nicht überfallen oder ihr die Kleidung mit Gewalt vom Körper gerissen worden war   … sie wirkte mehr wie eine bekiffte Esoterikerin, die beschlossen hat, im Mondlicht zu baden, ganz gleich, wer sie dabei beobachten könnte.
    Der Raum mit den niedrigen Deckenbalken war nur schwach erleuchtet, und die Ausstellungsstücke wirkten auf den ersten Blick eher wie eine Ansammlung von Ramsch. Es gab Hopfenkrippen – in Rahmen hängende Tuchbahnen, in denen die Zapfen von den Ranken getrennt wurden; die riesigen Säcke, die Hopfenziechen genannt wurden und in denen man die Zapfen gesammelt hatte, und einen enormen gusseisernen Brennofen, der aus einer kürzlich umgebauten Hopfendarre gerettet worden war.
    An den Wänden hingen vergrößerte Schwarz-Weiß-Fotos von Darren wie der Gerard Stocks. Diese Gebäude hatten dazu gedient, die Ernte auf Trockenböden über dem Ofen zu dörren. Daher stammte auch das Wort Hopfendarre beziehungsweise Darrenhaus. Die Luft in dem Museum war etwas muffig, und über allem lag ein intensiver, würziger Geruch, der nur vom Hopfen selbst stammen konnte. Und weil Hopfen verwendet wurde, um dem Bier Geschmack und Haltbarkeit zu verleihen, konnte man diesen Geruch leicht berauschend finden. Er schien Lols Sinne zu schwächen, schien es zu vereinfachen, die merkwürdigen Ereignisse bei diesem Museumsbesuch zu akzeptieren.
    Er zog die Boswell bequem an seinen Bauch. Die Resonanzkörper von Boswells waren schon nach hinten ausgebaucht, lange bevor überall die Ovation-Gitarren aufgetaucht waren. Doch während Ovations aus Fiberglas bestanden, erinnerte der Rücken einer handgearbeiteten Boswell an eine Mandoline. Vermutlich existierten weniger als hundert dieser Instrumente, sodass diese Gitarre mehr wert sein musste als alles andere in dem Museumzusammen. Aber wie war sie hierhergekommen – und hatte sie irgendetwas mit Hopfen zu tun?
    Lol spielte die Anfangsakkorde seines Frome-Songs: b-Moll , Fis. Der Klang war vollkommen klar, tief, aber akzentuiert, ein bisschen wie die Stimme des Mannes mit dem langen, weißen Haar.
    Lol hörte auf zu spielen.
Nein
… Nein, das konnte unmöglich wahr sein. Er war nämlich schon längst tot, oder? Er musste tot sein, nach all dieser Zeit.
     
    «Al», sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust. «Und das ist Sally, meine Frau.»
    Sie standen nebeneinander an der Tür. Ihr Anblick ließ unweigerlich den Gedanken an sepiafarbene Fotos von Ehepaaren aus längst vergangenen Zeiten aufkommen. Sallys Haar war aschgrau, fein und schulterlang. Sie war groß und schlank, etwa im gleichen Alter wie Al und umwerfend schön. Sie trug ein langes, nachtblaues Kleid und eine Halbbrille an einer Kette.
    Doch ihr Händedruck war sehr fest und ihre Aussprache deutlich und kultiviert. «Ich weiß», sagte sie, «Sie haben geglaubt, er wäre tot. Jeder denkt, er wäre tot. Was übrigens keineswegs ein Nachteil ist, wenn es um den Verkauf geht. Das verleiht dem Ganzen eine Art antiquarischen Reiz.»
    «Und? Gefällt sie dir?», fragte Al Boswell. «Gefällt dir mein Baby?»
    Er meinte die Gitarre.
    Al.
    Alfonso Boswell: virtuoser Blues- und Ragtime-Gitarrist und der vielleicht meistgeehrte, wenn auch reichlich exzentrische Gitarrenbauer des letzten halben Jahrhunderts.
    «Ich glaub’s einfach nicht», murmelte Lol.
    «Er ist ein bisschen älter, als er aussieht.» Sally Boswell zupftean einer der schneeweißen Haarsträhnen ihres Mannes. «Aber er hat auch schon als Teenager angefangen Gitarren zu bauen, deshalb sind die Leute manchmal ein bisschen verwirrt.»
    «Ich
wollte
damit aufhören», sagte Al Boswell, «aber nachdem ich die letzte fertig hatte, bin ich nachts aufgewacht und habe so etwas wie das erste Ziepen von Arthritis gespürt. Tja, und weil ich ein abergläubischer Mann bin, der aus einem alten Geschlecht abergläubischer Männer stammt, habe ich am nächsten Morgen wieder angefangen zu arbeiten.»
    Lol dachte an den Zigeunerwagen draußen auf der Wiese. Die Legende besagte, dass Alfonso Boswell über die Landstraßen zog, die Hölzer für seine Gitarren auswählte und schnitt und dann seine Werkstatt auf einer Waldlichtung aufschlug – jedes Instrument wuchs organisch aus der Natur, unter der Sonne, unter den Sternen. Pro Jahr entstanden auf diese Weise nie mehr als vier Gitarren; Boswell sah im

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