Der Turm der Seelen
einer Münze setzte. So etwas konnte den eigenen Glauben schon ein bisschen ins Wanken bringen.
«Weil es nämlich überhaupt nichts mit der Münze zu tun hat», sagte Huw.
«Jedenfalls nicht mehr als Tarot mit den Karten.»
«Jetzt werden Sie doch nicht gleich so fundamentalistisch.»
Merrily lachte.
«Denken Sie doch mal an Martin Israel – ein Wissenschaftler, ein angesehener Pathologe. Und ausgerechnet ihn haben sie in London zum Exorzisten ernannt. Was wollen Sie denn noch? Ah ja, ich weiß, was Sie wollen. Sie wollen etwas Idiotensicheres. Sie wollen, dass man Ihnen die Lösung für Ihr Problem auf dem Silbertablett serviert.»
«Eine zweite Meinung würde mir schon genügen.»
«Wenn Sie die Kälte nicht mögen, bleiben Sie am besten aus der Leichenhalle weg.»
«Danke für den Rat.»
«Gern geschehen.»
Merrily seufzte.
«Hören Sie, meine Liebe, vertrauen Sie ein bisschen mehr auf sich selbst, ja? Ich hätte Sie höchstpersönlich aus dem verdammten Rennen geworfen, wenn ich nicht glauben würde, dass Sie es schaffen können.»
«Sie haben es versucht!»
«Als ich Sie noch nicht kannte. Vertrauen Sie einfach Ihrem Gespür und Ihrem gesunden Menschenverstand. Und wenn Sie eine zweite Meinung hören wollen, dann fragen Sie Ihn, nicht mich. Wie heißt es so schön in dem Song von Kate Bush:
Make a deal with God
.»
«Sie sind ein echter Bastard, Huw.»
Dann fiel ihr wieder ein, dass er tatsächlich unehelich geboren war.
«Sorry», sagte Merrily.
Huw lachte.
Wenigstens Jane sah fröhlicher aus, als sie in die Küche kam. Sie hatte das Geld gespart, das sie an zwei Samstagen im Monat als Verkäuferin in einem Lebensmittelladen verdiente, und war mit Päckchen beladen: Kleidung für die Ferien. Keine verführerische Nachtwäsche, hoffte Merrily – allerdings war nach allem, was sie über die ausgedehnte Familie von Eirions Vater gehört hatte, ohnehin damit zu rechnen, dass die Gelegenheiten zu nächtlichen Vergnügungen eher dünn gesät wären.
Eine kleine Tragetüte landete in ihrem Schoß.
«Was ist das?»
«Ein Top. Für dich. Du kaufst dir nie was zum Anziehen.»
«Oh, Spatz … das ist sehr …» Merrily zog das Oberteil aus der Tüte. Es war blassorangefarben, aus Baumwolle und sehr knapp. «Das ist, mmh, wie soll ich es ausdrücken … ziemlich weit ausgeschnitten, oder?»
«Dein Hundekragen passt jedenfalls nicht dazu, falls du das meinst», erwiderte Jane süffisant.
«Also … Danke.» Merrily legte das Top in die Tüte zurück. «Vielen Dank. Das war sehr nett von dir.»
«Wenn du es nicht trägst, bin ich ernsthaft beleidigt», sagte Jane. «Das wird bestimmt ein langer, heißer Sommer.»
«Das sagen wir jedes Jahr, aber dann kommt es doch anders.»
«Stimmt.» Jane setzte sich und streckte ihre bloßen Arme. «Ich schätze, dass bei Lols Ausbildung demnächst die Sommerpause anfängt. Weißt du überhaupt noch, wer Lol ist?»
«Ja-ha.»
«Der größte, lebende Autor von sanften, schlichten, nachdenklichen Songs und außerdem ein cooler, sensibler Typ.»
«Ja, Spatz, ich kann mich dunkel an ihn erinnern.»
«Ich wollte ja nur sagen … wenn dich meine Anwesenheit irgendwie hemmt, wäre jetzt eine gute Gelegenheit …»
«Danke, dass dir mein Gefühlsleben so am Herzen liegt.»
«Keine Ursache», sagte Jane. «Oh, diese Amy Shelbone … mir ist eingefallen … die geht auf unsere Schule.»
«Ich weiß.»
«Mir ist auf einmal klar geworden, wen du gemeinst hast. Sie ist ganz schön spießig. Immer total ordentlich angezogen. Nervt irgendwie ziemlich.»
Merrily nickte. «Mm-mmm.»
«Kann ich dir da bei irgendetwas helfen?»
«Ich glaube nicht», sagte Merrily. «Jedenfalls im Moment nicht.»
«Weil, also …»
«Schon klar», sagte Merrily. «Um wie viel Uhr holt Eirion dich ab?»
«Halb neun.»
«Freust du dich schon?»
«Klar», sagte Jane.
Als Jane nach oben abgezogen war, ging Merrily in die Eingangshalle und ließ ihre Finger an der Oberkante der Bücherregale entlanggleiten. Sie war immer noch da, mitten im Staub, wo Merrily sie eilig hingelegt hatte, nachdem sie die Münze bei der größtenLuxusaktion des Jahres – dem Einbau einer neuen Dusche – unter der Badewanne gefunden hatten.
Das Geldstück war dick und unförmig, der Kopf des Monarchen kaum zu erkennen, die Britannia auf der anderen Seite dagegen deutlich auszumachen, ebenso wie die Jahreszahl: 1797 – mehr als ein Jahrhundert nach dem Tod von Wil
Weitere Kostenlose Bücher