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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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diesem Moment noch nicht von der Ernsthaftigkeit des Problems überzeugt gewesen war. Sie hatte zuerst Amy sehen müssen.
    Und selbst jetzt, nachdem sie Amy gesehen und gehört hatte, war sie noch nicht überzeugt.
    Sie hätte Mrs.   Shelbone vielleicht bitten können, bleiben zu dürfen, bis Amys Vater nach Hause kam. Vielleicht hätten sie zu dritt in die Kirche gehen und, mit Dennis Becketts Erlaubnis, eine kleine Andacht abhalten können. Nur für den Fall.
    Für
welchen
Fall?
     
    Es war sechs Uhr abends und Merrily war zurück in dem Büro, das sie in der alten Spülküche eingerichtet hatte. Das Fenster stand offen, und die letzten Regentropfen liefen an dem Efeu herab, der an der Außenwand emporwuchs. Eine Silk Cut verglühte im Aschenbecher. Jane war noch nicht aus Hereford zurück.
    Merrily fühlte sich wie eine Comicfigur, die pfannkuchenplatt auf der Straße lag und der Dampfwalze nachsah, die sich langsam entfernte. Nach dem Telefonhörer zu greifen, erschien ihr beinahe wie eine lebensrettende Sofortmaßnahme am Unfallort.
    «Es ist die alte Zwickmühle», sagte sie. «Ich weiß nicht, ob ich es über- oder unterbewerte.»
    «Das wissen wir doch nie genau», sagte Hochwürden Huw Owen. «Das müsste Ihnen doch inzwischen klar sein.»
    «Hab ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass Bernie mich gebeten hat, ein Exorzismus-Team zusammenzustellen?»
    «Ich habe für diesen ganzen Komitee- und Gesprächsgruppenmist noch nie etwas übriggehabt. Aber in diesem Fall – wo man ständig in irgendeine Falle tappen kann und die Leute nur darauf warten, irgendein armes Schwein verantwortlich machen zu können, wenn was schiefgeht   … Machen Sie es, ich würde es jedenfalls tun. Aber holen Sie sich bloß keinen Sozialarbeiter ins Team.»
    Sie sah ihn geradezu vor sich, wie er in seinem Arbeitszimmer in den Brecon Beacons saß, die Beine ausgestreckt, die uralten Turnschuhe an den Füßen. Der alte Wolf in seiner Höhle, ihr Exorzismus-Ausbilder, der mindestens die Hälfte aller Exorzisten in Wales und den West Midlands beriet.
    «Erzählen Sie mir nochmal von dem Gespräch. Sie haben die Mutter gefragt, was ihrer Meinung nach in das Mädchen gefahren ist. Und sie hat gesagt   …»
    «Der Geist eines toten Menschen», sagte Merrily. «Das waren ihre Worte.»
    «Meinte sie damit jemand Bestimmten?»
    «Das habe ich sie als Nächstes gefragt, aber sie hat nicht darauf geantwortet. Dann ist sie zurückgerudert, was ihre früheren Bemerkungen anging, Amy würde Dinge erzählen, die sie unmöglich wissen könnte, ohne   …»
    «Wenn sie nicht zur Zusammenarbeit bereit sind, haben Sie ziemlich schlechte Karten.»
    «Mmm.»
    Darauf schwieg Huw beinahe eine Minute lang. Merrily wusste, dass er noch am Apparat war, denn sie hörte, wie er mit dem Fuß irgendeinen Rhythmus ans Kaminblech klopfte. Ganz gleich wie heiß es war, er unterhielt immer ein kleines Kaminfeuer. Allerdings bestand auch keinerlei Gefahr, dass es in einem Pfarrhaus weit über der Schneegrenze jemals übermäßig warm werden könnte.
    Vor Merrilys Fenster vertrieb die Abendsonne ein paar Wolkenschleier.
    «Haben Sie eine Lieblingsmünze?», fragte Huw schließlich.
    Merrilys Laune sank weiter Richtung Nullpunkt.
    «Also?», sagte Huw.
    «Als Sie uns im Kurs davon erzählt haben, dachte ich, Sie machen Witze. Dann habe ich gelesen, was Martin Israel über Exorzismus schreibt, aber ich finde immer noch   …»
    «Hören Sie auf, den Kopf zu schütteln, junge Frau. Ich habe es schon ein paar Mal gemacht. Es hat immer funktioniert – soweit ich das beurteilen kann. Entweder sagt Ihnen die Münze, was Sie ohnehin schon wissen, oder sie sagt Ihnen, dass Sie alles noch einmal neu überdenken sollten. Und wenn Sie erst einmal damit angefangen haben, alles neu zu überdenken, dann finden Sie auch einen neuen Blickwinkel, der Ihnen vorher nicht aufgefallen war, und kommen weiter.»
    «Das kann ich nicht.»
    «Klar können Sie das. Nehmen Sie irgendeine alte Münze, segnenSie das Ding und erklären Sie Gott, was Sie da machen. Ich benutze so ein altes Halfcrown-Stück. Ist kein gesetzliches Zahlungsmittel mehr und kann deshalb auch nicht mehr als schnöder Mammon angesehen werden. Ich bewahre es im Boden eines Kerzenständers auf dem Altar auf.»
    Merrily stellte sich vor, wie irgendein argloses Gemeindemitglied zufällig in die Kirche kam und mit ansah, wie Hochwürden Owen bei der Lösung eines komplexen spirituellen Problems offenkundig auf den Wurf

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