Der Turm von Zanid
Räuber bei der Flucht fallengelassen hatte, nicht aber die Ringe, was ihnen seitens des Überfallenen eine wütende Schimpfkanonade ob ihrer Unfähigkeit eintrug.
Roqirs rote Scheibe schob sich bereits über die Dachgiebel von Zanid, als Anthony Fallon und sein Zug von ihrer letzten Runde in die Rüstkammer zurückkehrten. Sie stellten ihre Piken in den Ständer zurück und stellten sich in einer Reihe an, um den Pro-Forma-Sold in Empfang zu nehmen, den der Stadtpräfekt den Mitgliedern der Bürgerwehr für ihre Streifendienste zahlte.
»Vergesst nicht die Übung nächsten Fünf-Tag«, sagte Kordaq, während er ihnen ihre Viertel-Kard-Silbermünzen aushändigte.
»Irgendeine innere Stimme sagt mir«, murmelte Fallon, »dass einen Tag vor der Waffenübung eine mysteriöse Krankheit unsere tapfere Kompanie auf das Krankenbett werfen wird.«
»Beim Blute Qarars, untersteht euch! Ich werde die Kompanieführer persönlich für das Erscheinen ihrer Leute verantwortlich machen!«
»Ich fühle mich selbst auch nicht ganz wohl, Herr«, sagte Fallon grinsend, als er den halben Kard, der ihm als Zugführer zustand, in die Tasche gleiten ließ.
»Frecher Hanswurst!« schnaubte Kordaq. »Warum wir uns Eure Dreistigkeit gefallen lassen, weiß ich nicht … Aber Ihr werdet doch nicht vergessen, wovon wir vorhin gesprochen haben … ich meine unsere Abmachung … nicht wahr, Meister Antane, mein Freund?«
»Keine Angst. Ich werde das schon in die Wege leiten.« Mit diesen Worten ging Fallon hinaus, seinen Kameraden lässig zum Abschied winkend.
Wenn er nüchtern darüber nachdachte, dann konnte er sich nicht der Erkenntnis erwehren, dass er ganz schön verrückt war, jede zehnte Nacht damit zuzubringen, für einen halben Kard – einen lächerlichen Handlangerlohn – mit einer Hellebarde in der Hand in den Straßen herumzustapfen. Er war im Grunde seines Wesens zu eigenwillig, zu sprunghaft, um sich in eine Militärmaschinerie einzufügen, obwohl er über eine gewisse Begabung zum Führen und Befehlen verfügte. Zum Gehorchen indes hatte er nicht die geringste Neigung. Und als Ausländer konnte er kaum hoffen, jemals bis in die höheren Regionen der balhibischen Militärhierarchie vorzudringen.
Dennoch war er hier und trug die Armbinde der Stadtwache. Warum? Weil eine Uniform eine unwiderstehliche, fast schon kindisch zu nennende Faszination auf ihn ausübte. Mit seiner Pike durch die staubigen Straßen Zanids zu ziehen, gab ihm zumindest zeitweilig die – wenn auch nur trügerische – Illusion, ein potentieller Alexander oder Napoleon zu sein. Und in seiner gegenwärtigen Lage konnte sein Ego jede Art von Unterstützung gebrauchen, egal wie zweifelhaft diese auch sein mochte.
Gazi schlief, als er zur Tür hereingeschlurft kam, müde und abgespannt, im Kopf wie einen Knoten das Safq-Problem mit sich herumtragend. Sie wurde wach, als er ins Bett schlüpfte. »Weck mich zum Ende der zweiten Stunde«, murmelte er noch, dann schlief er in Sekundenschnelle ein.
Fast gleich darauf, so schien es ihm, rüttelte ihn Gazi an den Schultern und drängte ihn aufzustehen. Er hatte allenfalls drei Erdenstunden Schlaf gehabt, aber er musste jetzt aufstehen, wenn er alles erledigen wollte, was er sich für diesen Tag vorgenommen hatte. Da er am Nachmittag einen Termin bei Gericht hatte, rasierte er sich, zog seinen zweitbesten Anzug an, und nachdem er hastig sein Frühstück verschlungen hatte, trat er hinaus in die strahlende Vormittagssonne und machte sich auf den Weg zu Tashins Gasthof.
Der A’vaz-Bezirk erstreckte sich von den reinen Slumgebieten der Gegend, wo er nahe beim Balade-Tor an den Juru grenzte, bis zu den mit Künstlerstudios malerisch durchsetzten gehobenen Slumregionen an der Grenze zum Künstler- und Theaterviertel Sahi im Norden. Tashins Gasthof, nahe der Stadtmauer im Westteil des A’vaz gelegen, war ein unregelmäßig und planlos aneinander gestückeltes Haus, das (wie die meisten balhibischen Häuser) um einen zentralen Innenhof gebaut war.
Selbiger war an diesem Morgen mit dem Theater- und Künstlervolk gefüllt, das die Stammkundschaft der Kneipe ausmachte. Ein Seiltänzer hatte zwischen zwei Erkern ein Seil quer über den Hof gespannt und balancierte unter Zuhilfenahme eines Sonnenschirms darauf herum. Ein Akrobatentrio wirbelte sich gegenseitig durch die Luft. Auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofes brachte ein Dompteur einem zahmen Gerka ein paar neue Kunststückchen bei. Ein Sänger
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