Der Turm von Zanid
Zur Linken standen zwei Wächter in der Rüstung der Bürgerwehr, auf ihre Hellebarden gestützt. Sie sahen jedem Vorbeikommenden ins Gesicht. Dicht vor Fallon flatterte ein Priester hinein. Fallon hörte, dass er etwas murmelte, das sich so ähnlich wie »Rukhval« anhörte, als er zwischen den Wachtposten zur Linken und dem Türstehertisch hindurchging.
Fallon senkte den Kopf. Ein letztes kurzes Zögern vor dem entscheidenden Schritt. Irgendwo bimmelte ein Glöckchen. Ein Scharren lief durch die Menge am Eingang. Vermutlich mahnte das Glöckchen zur Eile, damit jeder pünktlich zum Beginn des Rituals erscheine.
Er trat vor, murmelte »Rukhval!« und tastete nach dem Griff seines Rapiers, das er unter der Robe verborgen trug.
Der Priester hinter dem Tisch blickte nicht einmal auf, als Fallon und Fredro an ihm vorbeigingen, da er gerade in ein leises Gespräch mit einem Laien vertieft war. Die Posten anzusehen, wagte Fallon nicht, aus Furcht, sie könnten ihn selbst bei dem trüben Licht als Terraner erkennen. Das Herz blieb ihm stehen, als einer von ihnen unvermittelt knurrte: »Soi Soi hao!«
Sein Verstand war vor Angst so gelähmt, dass er eine Sekunde brauchte, bis er merkte, dass der Bursche bloß jemanden zur Eile antrieb. Ob er ihn und Fredro oder den Türsteher und den Laien, die sich immer noch miteinander unterhielten, gemeint hatte, dies herauszufinden bemühte sich Fallon lieber nicht, sondern ging weiter. Weitere Priester drängten hinter den Erdenmenschen nach.
Fallon ließ sich vom Strom treiben. Als er ins Innere des Safq kam, hörte er wieder das seltsame Geräusch, das ihm schon bei seinem Erkundigungsgang vier Abende zuvor aufgefallen war. Es klang hier im Innern lauter als draußen; gleichzeitig war es, wie er jetzt merkte, von seiner Struktur her viel komplizierter und rätselhafter, als es ihm anfangs vorgekommen war. Es bestand nicht nur aus einem tiefen rhythmischen Schlagen, sondern darunter mischten sich hellere Laute wie von Hämmern, dazu sägende Geräusche, als ob jemand feilte.
Die Schar der Krishnaner bewegte sich quer durch den rückwärtigen Teil der Cella des Yesht-Tempels, der einen Teil des Safq bildete (oder vielmehr in ihn hineingebaut war) und dem großen Raum auf Kordaqs Plan entsprach. Vorsichtig unter dem Kapuzenrand nach links spähend, konnte Fallon die Rückseite der Stühle sehen: drei große Blöcke, etwa zur Hälfte besetzt. Als er hinter den Zwischengängen vorbeiging, die die Stuhlreihen voneinander trennten, gewahrte er das Geländer, das die Gemeinde von der Priesterschaft trennte. Links von der Mitte erhob sich die Kanzel, eine zylindrische Konstruktion aus glänzendem Silber. Im hinteren Teil des Zentrums stand etwas Schwarzes von nicht deutlich zu erkennender Form. Das musste die große Statue des Yesht sein, zu deren Anfertigung Panjaku von Ghulinde, selbst ein Yeshtit, eigens nach Zanid geeilt war, wie die Rashm zu berichten wusste.
Das Lampenlicht schimmerte auf den vergoldeten Verzierungen und widerspiegelte sich funkelnd in den Halbedelsteinen der Mosaiken, die rings um den oberen Teil der Wände liefen. Fallon konnte diese Mosaiken von seinem Standpunkt aus nicht deutlich erkennen, doch er hatte den Eindruck, dass es sich dabei um eine Szenenfolge aus dem Yesht-Mythos handelte, einem Mythos, der sogar bei den zu Phantastereien neigenden Krishnanern als grotesk galt.
Die durch den Eingang hereinströmende Menge teilte sich an dieser Stelle hinter den hintersten Stuhlreihen. Die Laien bogen ab in die Zwischengänge, um sich freie Plätze in den Stuhlreihen zu suchen, die Priester, viel geringer an der Zahl, steuerten auf eine Tür zu.
Nach Liyaras Instruktionen vermutete Fallon hinter dieser Tür den Umkleideraum, in dem die Priester die Übergewänder anlegten, die sie während des Gottesdienstes trugen. Die niederen Ränge, zu denen auch der dritte zählte, wechselten zu diesem Zweck nicht ihre Roben. Nur die hohen Ränge vom fünften ab aufwärts legten ihre besonderen Insignien an.
Mit einem unauffälligen Blick über die Schulter vergewisserte sich Fallon, dass Fredro ihm folgte, und durchschritt dann die Tür. Doch als er sie hinter sich hatte, musste er als erstes überrascht feststellen, dass er sich in einer ganz anderen Art von Raum befand, als er nach dem unscheinbaren kleinen Quadrat vermutet hätte, den dieser Raum auf Kordaqs Plan darstellte.
Vielmehr sah er sich in einem spärlich erhellten mittelgroßen Raum, mit einer weiteren
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