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Der Turm von Zanid

Titel: Der Turm von Zanid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lyon Sprague de Camp
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gepredigt.
    Yesht-Kharaj besiegte Ungeheuer und böse Geister, trieb Gespenster aus und erweckte Tote zum Leben. Einige seiner Wundertaten und Abenteuer schienen dem Außenstehenden auf eine surrealistische Weise bedeutungslos, doch für den Gläubigen besaßen sie zweifelsohne tiefe symbolische Bedeutung.
    Einmal wurde er, so die Legende, von einem weiblichen Dämon gefangen, und ihr gemeinsamer Nachkomme wurde der sagenumwobene König Myande von Ruakh, genannt der Abscheuliche. Nach einem langen und komplizierten Kampf zwischen dem Gott und seinem halbdämonischen Sohn wurde Yesht-Kharaj von den Soldaten des Königs gefangen und mit Ausdauer und Einfallsreichtum gefoltert, ehe man ihm schließlich die Erlösung durch den Tod gewährte. Die Leute des Königs begruben den Leichnam, doch schon am nächsten Tag brach genau an jener Stelle ein Vulkan aus, der die Stadt mitsamt ihrem König vernichtete.
    Das Mosaik stellte alle diese Ereignisse mit geradezu abstoßender Offenheit und in peinlich realistischer Detailgenauigkeit dar. Fallon hörte, wie Fredro beim Betrachten der Szenenfolge einen leisen Pfiff ausstieß. Sofort trat er ihm auf die Zehen, um ihn zum Schweigen zu bringen.
    Die Prozession bewegte sich durch ein Tor in der Absperrung zwischen Bänken und Altar. Dort spaltete sie sich in Gruppen. Fallon schloss sich den anderen Priestern dritten Ranges an und stellte sich in die hinterste Reihe ihrer Gruppe in der Hoffnung, hier weniger aufzufallen. Er stand, von vorn aus gesehen, links vom Altar. Die zylindrische Silberkanzel nahm ihm einen Großteil der Sicht auf die Gemeinde.
    Links von ihm erhob sich die große Statue des Yesht. Sie ruhte auf vier Beinen, die die Form von Baumstümpfen hatten. Auf dem Haupt trug sie einen Berg, auf einer ihrer sechs ausgestreckten Hände eine Stadt und auf einer zweiten einen Wald. In den restlichen Händen hielt sie ein Schwert und andere weniger leicht zu erkennende Gegenstände.
    Hinter der Kanzel konnte Fallon zwischen der Statue und der Gemeinde den Altar sehen. Mit einigem Entsetzen sah er, dass die Oberpriester gerade dabei waren, die Waldfrau mit goldenen Fesseln um Hand- und Fußgelenke auf den Altar zu binden.
    Hinter dem Altar stand, wie er erst jetzt bemerkte, ein muskulöser Krishnaner, dessen Kopf von einem schwarzen Sack mit Augenlöchern verhüllt war. Er war damit beschäftigt, eine Reihe von Instrumenten, deren Zweck offensichtlich war, zum Glühen zu bringen.
    Fallon hörte Fredro entsetzt flüstern: »Wird Frau jätzt gäfoltert?«
    Fallon hob die Schultern in Andeutung eines Achselzuckens. Der Gesang verstummte, und der am prunkvollsten gekleidete Oberpriester erklomm die Stufen zur Kanzel. Von irgendwoher aus der Nähe hörte Fallon ein Flüstern auf Balhibou: »Was sind denn die vom dritten Rang heute so wild auf den Ritus? Sie sind so zahlreich vertreten, dass man fast glauben möchte, es wäre einer zuviel …«
    Ein mehrstimmiges »Psst!« mahnte den Vorwitzigen zum Schweigen, und der Oberhierarch begann zu sprechen.
    Der Beginn des Gottesdienstes unterschied sich nicht sehr von den Riten der wichtigsten irdischen Religionen: Gebete auf Varastou, Hymnen, Ankündigungen und dergleichen. Fallon scharrte nervös mit den Füßen und kämpfte gegen einen Juckreiz an. Während der Sprechpausen hörte man das leise Wimmern der Waldfrau. Die Oberpriester verneigten sich voreinander und vor der Statue und reichten symbolische Gegenstände hin und her.
    Schließlich bestieg der Oberhierarch wieder die Kanzel.
    Die Gemeinde wurde mucksmäuschenstill, was Fallon vermuten ließ, dass jetzt der Höhepunkt des Rituals nahte.
    Der Oberhierarch begann in Neu-Balhibou: »Hört, meine Kinder, die Geschichte des Gottes Yesht, als er zum Manne ward! Und schauet aufmerksam zu, wie wir diese Legende darstellen, auf dass ihr allzeit dieser traurigen Ereignisse eingedenk seid und ihr Bild in eure Leber eingegraben tragt.
    Es war an den Ufern des Zigrosflusses, dass der Gott Yesht dem Leibe des Knaben Kharaj begegnete und von ihm Besitz ergriff, als dieser spielte und mit seinen Gefährten herumtollte. Und als der Geist des Yesht in den Körper des Kharaj gefahren war, da erhob dieser seine Stimme und sprach: ›O meine Spielgefährten, so lauschet meinen Worten und gehorchet ihnen. Denn ich bin kein Knabe mehr, sondern ein Gott, und ich bringe euch Kunde vom Willen der Götter …«
    Während dieser Erzählung stellten die anderen Hierarchen pantomimisch die Taten des

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