Der Turm von Zanid
Tür genau gegenüber, durch die die Priester vor ihm zielstrebig hasteten. Plötzliches Kettengeklirr ließ ihn den Kopf nach links wenden. Was er sah, ließ ihn so unvermittelt zurückfahren, dass er dem dicht hinter ihm gehenden Fredro auf die Zehen trat, was dieser mit Quieken quittierte.
Angekettet an die linke Wand der Kammer, jedoch mit soviel Bewegungsfreiheit, dass er mit seinem schlangenartigen Hals jeden Teil des Raumes mühelos erreichen konnte, stand ein Shan. Obgleich nicht so groß wie jene, denen er bei Kastambang und im Zoo begegnet war, war er doch groß genug, um einen Menschen mit ein paar Bissen zu verschlingen.
Im Moment lag der Kopf der Bestie auf dem Vorderpaar seiner sechs klauenbewehrten Füße. Die tellergroßen Augen starrten Fallon und seinen Begleiter unverwandt an – keine zwei Meter von ihnen entfernt. Ein einziger Sprung, und sie wären beide geliefert gewesen.
Mit einem erstickten Keuchen riss Fallon sich zusammen und ging weiter, in der Hoffnung, dass keiner der Krishnaner sein Zögern bemerkt hatte. Der Aliyab-Saft-Guß, den er und Fredro am Nachmittag im Zoo abbekommen hatten, fiel ihm ein. Zweifellos war das der Grund, weshalb der Shan sie nicht angriff, denn einen anderen triftigen gab es eigentlich nicht. Konnte es sein, dass alle Priester das Zeug auf ihre Roben sprengten, damit etwaige geruchlose Eindringlinge – die wie er und Fredro als Priester verkleidet waren – von dem Shan verschlungen wurden? Fallon vermochte nicht zu sagen, ob die echten Priester auch nach Aliyab-Saft stanken, zusehr hatte er sich schon an den Geruch gewöhnt. Aber wenn seine Vermutung wirklich stimmte, dann hatte sich ihre unfreiwillige Dusche im Zoo jetzt im nachhinein als wahrer Glücksfall erwiesen.
Die Blicke des Shan folgten ihnen, aber das Untier hob den Kopf nicht von den Pranken. Fallon beeilte sich, durch die Tür zu kommen.
Vor ihnen lag jetzt ein Korridor, der in einer langen sanften Kurve der Außenwand des Bauwerkes folgte. Fenster gab es nicht. Zwar ist Jadeit an dünnen Stellen lichtdurchlässig, doch die Mauern waren viel zu dick, um Licht von außen hereinzulassen. In bestimmten Abständen waren Lampen an Wandhalterungen befestigt. Die linke Seite des Korridors bestand aus einer weiteren Wand, die häufig von Türen unterbrochen wurde. Hinter der Kurve, welche aufgrund der starken Krümmung der Innenmauer nur jeweils für ein kurzes Stück einzusehen war, musste (wenn der Plan stimmte) eine Treppe sowohl nach oben als auch nach unten führen.
Unmittelbar zur Linken zweigte ein breiter Flur oder eine langgestreckte Kammer ab. In dieser befand sich ein mit Übergewändern vollgestapelter langer Tisch, um den sich jetzt die Priester drängten. Sie nahmen die Gewänder herunter, zogen sie an und strichen sie vor einer Reihe von Spiegeln an der gegenüberliegenden Wand glatt. Obwohl der Raum von Gemurmel erfüllt war, fiel es Fallon auf, dass die Priester für eine Schar Krishnaner ungewöhnlich ruhig waren.
Eingedenk der Instruktionen Liyaras marschierte Fallon mit gespielter Zielstrebigkeit den Tisch entlang – und hielt vor einem Stapel roter Umhänge – dem Erkennungszeichen für Yesht-Priester dritten Grades. Er nahm zwei davon, gab einen Fredro und zog seinen vor einem der Spiegel an.
Er war kaum fertig, als zweimal kurz hintereinander eine Glocke ertönte. Mit hastigem Scharren und Schieben stellten sich die Priester längs der Wand, an der die Spiegel hingen, in Zweierreihe auf. Fallon bugsierte Fredro, der noch an den Schnüren seines Umhangs herumfummelte, rasch in die erstbeste Lücke, die er in der Doppelreihe der Priester dritten Ranges erspähte. Vor diesen hatten die Priester vierten Ranges, die blaue Umhänge trugen, Aufstellung genommen, während hinter ihnen die Priester zweiten Ranges, die Gelb trugen, standen. Zum Glück schien es innerhalb der einzelnen Rängen keine festgelegte Reihenfolge bei der Aufstellung zu geben.
Fallon und Fredro standen Seite an Seite, den Kopf geneigt, um das Gesicht zu verstecken. Dann läutete die Glocke erneut, diesmal dreimal hintereinander. Schritte und das Scharren von Füßen waren zu hören. Aus dem Augenwinkel sah Fallon eine Gruppe von Krishnanern vorübereilen. Einer von ihnen schwenkte an einer Kette ein Weihrauchfass, dem eine Fahne scharfwürzig riechenden Rauches entströmte, dessen Aroma sogar den allgegenwärtigen Aliyab-Gestank und die säuerlichmuffigen Körperausdünstungen der Krishnaner für einen
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