Der Turm
Gott, dieses Kind ist mir völlig entglitten! Es macht, was es will, und diese Typen, die sie anschleppt, haben alle lange Haare und rauchen! Und hören diese fürchterliche Musik. Christjan«, sie nahm seine Hand und beugte sich über ihn, ihre weit geöffneten, von feinen Mascara-Strichen umrandeten graublauen Augen wirkten wie Porzellanscheibchen, »hör mal zu. Du weißt, ich sage immer … Man darf kein Pieps sein im Leben. Das darf man nicht sein. So herrlich sind wir ja alle … bei weitem nicht. Aber wir sind keine Piepse. – Also. Wie steht’s in der Schule.«
»Ganz gut –«
»Das sagst du aus Bescheidenheit, stimmt’s? Ihr Hoffmanns neigt ja zum Niedrighalten. Gut so. Wer schwach beginnt, kann stark nachlassen. Wie findest du eigentlich meine neue Frisur? Entschuldige, daß ich so direkt frage, aber es sagt einem ja keiner was. – Du mußt nicht antworten, wenn es dich scheniert. Ich habe viel Verständnis für die männliche Psü-che. Das weißt du. Du liest ja auch so viel, und es heißt ja immer, je mehr einer liest, desto mehr Probleme hat er mit den Worten. Wenn du sie gut findest, kannst du zum Beispiel … einfach meine Hand drücken.« Barbara lächelte und schüttelte stolz den Kopf.
»Bist du bei Schnebel gewesen?«
»Was denkst du, doch nicht bei diesem Billigfriseur. Christjan – so schlecht kann es doch nicht aussehen!?« Das war der Gesichtsausdruck Barbaras, wenn sie Kater Chakamankabudibaba über den Rücken strich und sagte: Du liiebes Tier! – als ob sie prüfte, an welcher Stelle des Mantels, an dem sie gerade arbeitete, sein weiches Fell Platz finden könnte. »Kannst du einen erschrecken! Nein, natürlich war ich bei Wiener. Das ist der einzige, der was von Frauenhaar versteht. Es ist so schwer, bei ihm einen Terminzu bekommen … Sogar die aus Ostrom wollen zu ihm, und dabei hat er doch Anno sechsundfünfzig … ich glaube, er hat sogar gesessen, dort im schönen Ungarland. Na, wenn die wüßten. Aber sie wissen’s bestimmt, diese … Tussis! Ja, das ist das Wort. Wiener ist ein alter Scharmör und auch ein bißchen eukalyptisch, ich meine: Dieses Toupet sollte er sich doch nicht antun, noch dazu, wo es so schwarz ist wie Lakritze – und er doch bestimmt gut seine fünfzig auf dem Buckel hat. Dazu das Haarnetz. Ich meine: ein Mann. Und dazu Friseur. Mit Haarnetz und Heiduckenschnurrbart! Bei seinen Preisen … Und dann geht er ja auch so beträufelt«, Barbara war aufgestanden und ahmte den Gang des Coiffeurs Lajos Wiener nach, »die Hände erhoben, als ob er drauf watscheln müßte, und dann wiegt er sich in den Hüften wie ein Sportsfreund und säuselt: Meine Gnädige, beehren Sie uns bald wieder! Bei der Warteliste, mein Gott! So ein Lumich! Dann zwinkert er einem so blümerant mit der Backe zu, man hat das Gefühl, daß eine Zigeunerkapelle im Hintergrund lauert und gleich diese Dinger auf das Dings klöppeln läßt … Na, diese Hämmerchen, die aussehen wie Löffel aus der Milchbar, und diese … Zither. Ja. Diese mit Draht bespannten Bretter, mit denen sie dich … hungarisieren!« Sie setzte sich wieder, streckte die mit Blumenringen reichlich bedachten Finger aus, betrachtete die himbeerrot lackierten Nägel. »Weißt du, Christjan, ich frage dich das nicht aus Jux und Dollerei. Die Weiber auf Arbeit sind ja doch nur neidisch, mit denen kann man über so etwas nicht reden. Sie sagen dir nicht, ob es gut aussieht, denn wenn sie es sagen, würden sie ja sagen, daß sie das besser nicht gesagt hätten. Ina denkt natürlich: Die Ahnin spinnt. Und Schnorchel«, so nannte Barbara ihren Ehemann, »könnte ich selbstverständlich fragen, aber er brummt nur ›Flöckchen, das ist ganz toll‹, schaut aber gar nicht hoch von seiner Fuwo-Fußballwoche, oder wie dieses Blättel heißt. Aber du: Dich kann man fragen. Das weiß ich. Das spüre ich. Du hast eine ehrliche Meinung und auch Augen im Kopf. Wiener, der falsche Fuffziger, der hudelt einem nach dem Munde, weil er will, daß man wiederkommt. – Ich seh’ schon, es scheniert dich, deiner Tante zu sagen, wie gut sie dir gefällt. Mußt kein Tränchen deswegen verdrücken. Schließlich landen wir ja alle noch im Kommunismus, und da muß mansich die Haare sowieso abschnippeln. Mein Lieber – enöff! Du darfst nicht soviel reden, das strengt dich bloß an. Schlaf gut!«
23.
Atmen
Richard ging in den Keller, in seine Werkstatt, die er sich in der ehemaligen Waschküche eingerichtet hatte. Hier war es still. Er wollte
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