Der Turm
klingt wie ein gedopter Kuckuck. »Stehen-bleiben! Stee-heen-blei-been!«
»Herr Kühnast, so geht es nicht. Sie können doch nicht einfach irgendwelche Leute hier ’reinlassen. Es gibt Hygienevorschriften, einen Maschinenlaufplan –«
»Sie hätten doch nur Hilfsarbeiten ausgeführt«, verteidigte sich der Chemiker. »Seit Monaten haben wir Schwierigkeiten in der Verpackung.«
»Trotzdem. Wenn was kaputtgeht oder passiert, was dann? Sie hätten es außerdem mit mir absprechen müssen!« Der Gesichtsausdruck von Kühnasts Vorgesetztem wechselte. »Andererseits sind Sie nun mal da. Kommen Sie doch mal mit, Herr Hoffmann«, und führte Richard in eine Kammer voller Schreibmaschinen. »Alle defekt! Ich bemühe mich seit anderthalb Jahren um einen Monteur aus dem Betrieb Ihres Schwagers. Sie sollen Ihre Medikamente haben, für Herz und Schmerz. Wenn unsere Schreibmaschinen endlich repariert werden. Und grüßen Sie bitte Ihren Bruder von mir.«
»Ich lasse Sie laufen, meine Herren. Unter einer Bedingung. Einer von Ihnen spielt für meine Jungs den Weihnachtsmann«,knurrte Förster Busse. »Mir glauben die Bengel nämlich nichts mehr.« Wernstein verlor das Münzenwerfen.
Mit dem Baum des Ersten Sekretärs ging Richard zu Ulrich, der sich bereiterklärt hatte, einen Monteur ins Arzneimittelwerk zu schicken – wenn er dafür einen Tannenbaum bekomme, mit dem seine Abteilung im sozialistischen Wettbewerb »Wer hat den schönsten Tannenbaum« den begehrten Wanderpokal nebst daran hängender erklecklicher Prämie gewinne.
»Oberarzt Hoffmann bitte zu Professor Müller«, tönte es aus der Kliniksprechanlage. Müller ging erregt auf und ab. »Wenn nur der Reucker mich in der Konferenz nicht so triumphierend mustern würde! Ich muß mich beherrschen, Herr Hoffmann, und ich mag es nicht, mich beherrschen zu müssen!« Er verzog seine Lippen zu einem schmollenden Himbeerwulst. »Aber es hilft nichts. In diesem Jahr werden wir uns der Inneren wohl geschlagen geben müssen. Es ist ja schon unglaublich, daß Reucker auch die Weihnachtsbaumabnahmekommission leitet.«
»Was? Nicht der Rektor?«
»Eben nicht. Das ist ja die Schweinerei.«
»Noch geben wir nicht auf.«
»Aber uns bleibt nur der Striezelmarkt, soweit ich sehe.«
»Dort gibt es nur noch Krückstöcke, die uns zum Gespött der Akademie machen.«
Über Müllers Gesicht blitzte eine Idee. »Und Reisig, Herr Hoffmann, und Reisig.«
Aber bei der Kontrollabnahme zog der Chef der Inneren Kliniken, Reucker, mit kühler Handbewegung einen Schraubenzieher aus der Tasche seines blütenweißen Kittels, suchte eine Weile, während der sich Müllers Lippen zu einem Schlitz zusammenpreßten, und schraubte einen Ast an der stolz aufgerichteten, scharf symmetrisch gebauten chirurgischen Fichte ab. Die Schwestern, Ärzte, Diätköchinnen, Hilfspfleger standen mit gesenkten Köpfen, man konnte das Knistern der Kittel hören. »Der Schraubenbaum wächst nicht in heimischer Natur«, sagte Reucker und ließ das Schräubchen von weit oben in die ausgestreckte Hand eines Assistenten fallen, der, verlobt miteiner Krankenschwester aus der Chirurgie, süffisant lächelte. Im Planetenweg aß man an diesem Abend den besten Stollen der Welt.
16.
Das leere Blatt
Die Weihnachtsferien waren vorüber. Alice und Sandor waren nach Ecuador zurückgekehrt, staunend über Asche und Schnee, wie sie gesagt hatten; staunend über einen Ausflug nach Seiffen, wo die Spielzeugmacher Holzreifen drehten und davon Schafe, Kühe und Saumtiere der Heiligen Drei Könige abstückten, bemalten und noch farbenfrisch auf dem Weihnachtsmarkt verkauften. Sie hatten einen Bergmannsumzug gesehen, den Duft von »Knox«-Räucherkerzen und Punsch geatmet, und sie hatten mit dem Überbau ihres Zwangsumtauschgeldes und einer Basis Westmark eine der schlichten hohen Pyramiden gekauft, die nicht beim Nippes auf dem Dresdner Striezelmarkt feilgeboten wurden, sondern für die man an der niedrigen Tür eines Erzgebirger Kätnerhauses klopfen und das Mißtrauen der ohne Gruß öffnenden Schnitzersfrau überwinden mußte. Und Doktor Griesel, der in der Karavelle im Hochparterre wohnte und das Hausbuch führte, hatte mit säuerlichem Gesicht zu Christian gesagt: »Kannst deinem Vater bestellen, daß es so nicht geht … Er hat mir von diesem Ausflug nichts erzählt, und sein Besuch bleibt auch länger als vorgesehen! Ich muß davon Mitteilung machen!«
»Ach, zum Teufel mit diesem Knilch, der meckert doch nur herum,
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