Der Überläufer: Tweed 3
Duftnote.
Es war dieselbe, die sie gerochen hatte, als Helene Stilmar einige Abende zuvor in der sechsten Etage an ihr vorbei zu den Aufzügen gegangen war.
Ingrid nahm ihren Zimmerschlüssel – man mußte ihn beim Betreten des Frühstücksraumes der Kellnerin vorweisen – und den leichten Regenmantel, den sie über die Lehne des Stuhls gegenüber gehängt hatte. In der Eingangshalle stieg Helene die breite Treppe hinunter und ging durch den Ausgang. Der Türsteher trat an die Bordsteinkante, um ein Taxi herbeizuwinken.
Ingrid rannte zu ihrem geparkten Volvo, schloß die Tür auf und warf sich hinters Steuer. Sie kurvte gerade rechtzeitig aus der Parklücke, um dem Taxi folgen zu können, das Helene bestiegen hatte. Übers Lenkrad gebeugt, war Ingrid ganz darauf konzentriert, ihren Wagen zu steuern und das Taxi nicht aus den Augen zu verlieren. Und immer noch beschäftigte sich ein Hintergedanke mit der Frage, was es war, das sie an Helene störte. Sie brauchte Zeit. Sie würde noch dahinterkommen. Früher oder später. Besser früher …
29
Früh an jenem Morgen, bald nach Tagesanbruch, ging eine schwedische Militärmaschine vom Typ SK 60 über Jakobsberg, zwanzig Kilometer vom Zentrum Stockholms entfernt, auf geringere Höhe und landete auf dem Militärflughafen Barkarby.
Die Maschine kam vor einem wartenden schwarzen sechssitzigen Volvo mit getönten Scheiben zum Stehen. Ein Soldat saß am Steuer. Drei Männer, alle in schwedischer Uniform, entstiegen der Maschine.
Sie gingen, jeder eine Aktentasche tragend, das kurze Stück zum Wagen. Die Szene hatte nichts Außergewöhnliches an sich. Barkarby ist ein Luftwaffenstützpunkt, auf dem solche Maschinen ständig starten und landen.
Auch an den drei Männern war nichts Besonderes. Sie alle waren im Majorsrang. Sie stiegen in den Fond des Volvo, die Türen wurden zugeschlagen, der Wagen fuhr ab.
Bemerkenswert war die Reise, die sie hinter sich hatten. Zuerst, spät am vorangegangenen Abend, hatte man sie von Kopenhagen quer durch Dänemark bis zu dem ruhigen Städtchen Roskilde am Roskilde-Fjord gefahren.
Dort, am winzigen Hafen nahe dem Museum, in dem rekonstruierte Modelle von Wikingerschiffen ausgestellt sind, waren sie an Bord eines Motorschiffs gegangen, das ablegte, sobald sie an Bord waren. Das Schiff fuhr mit Nordkurs aus dem Fjord ins Kattegat und schwenkte dann nach Osten.
Es setzte seine drei Passagiere an einer einsamen Stelle der schwedischen Küste ab, wo ein Wagen wartete. Mitten in der Nacht fuhr man sie zu einem schwedischen Militärflugplatz, wo sie in die SK 60 umstiegen. In der Luft wechselten sie die Kleidung.
Vom Flugplatz Barkarby fuhr man sie das kurze Stück zu einem der Gebäude auf dem Gelände des Flugplatzes. Die drei verließen den Volvo und verschwanden im Gebäude. General Paul Dexter, US-Stabschef, und zwei seiner Mitarbeiter waren in Schweden eingetroffen.
»Noch nichts Neues?« fragte General Lysenko, als er Oberst Karlows Büro in der Pikk-Straße betrat. Es war typisch für ihn, daß er zu reden begann, bevor er im Zimmer war.
»Nein«, informierte ihn Karlow.
Hauptmann Rebet kam hinter seinem Vorgesetzten herein und schloß sorgfältig die Tür.
»Haben wir alles in unserer Macht Stehende getan, um für Procane Kommunikationsmöglichkeiten zu schaffen?« fragte Lysenko forsch und warf seinen Mantel über einen Stuhl.
»Da wir nicht die leiseste Ahnung haben, wer Procane ist, sind dem Grenzen gesetzt«, erklärte Karlow, ein aufsteigendes Gefühl des Ärgers unterdrückend.
Bei jeder derartigen Operation kam der Punkt, an dem die Anspannung des Wartenmüssens spürbar wurde. Das drückte sich in verschiedenster Weise aus. Zornausbrüche. Immer wieder die gleichen Fragen. Und für den Mann an der Spitze das Belästigen seiner Untergebenen durch häufigere – und unerwünschte – Kontrollbesuche. Alles andere, nur nicht allein innerhalb der kahlen Wände eines Büros sitzen!
»Gehen Sie noch einmal alles durch«, befahl Lysenko, im Reitsitz auf einem Stuhl Platz nehmend, so daß er die Arme auf die Lehne legen konnte.
»Die Botschaft in Stockholm hat genaue Instruktionen erhalten«, begann Karlow, all seine Geduld zusammennehmend. »Wir vermuten, daß die einzige Möglichkeit für Procane, uns von seiner Ankunft zu verständigen, ein Anruf in der Botschaft ist. Da er ganz offensichtlich ein Vollprofi ist – im anderen Fall hätten wir während meines Aufenthalts in London Hinweise auf seine Identität gewonnen
Weitere Kostenlose Bücher