Der Überläufer: Tweed 3
Persson sich seine Erscheinung einprägte.
»Das muß bisweilen schwierig sein«, bemerkte er. »Angenommen, Sie müssen jemandem in einen Laden mit mehreren Ausgängen folgen und der oder die Verfolgten gehen nicht gleich wieder?«
»Ich kaufe etwas«, antwortete Persson sofort. »Bezahle es. Sage der Verkäuferin, sie soll es in Geschenkpapier einwickeln, und ich käme später. Ich bin unverdächtig – ich bin zu einem bestimmten Zweck in das Geschäft gegangen.«
»Sehr gut. Außer daß Ihr Aussehen Sie früher oder später verraten wird, wenn Sie allein arbeiten.«
»Glauben Sie das, Mr. Tweed? Warum wohl rauche ich eine Pfeife? Die Pfeife verschwindet, ich nehme die Brille ab …«
Er nahm sie ab, legte die Pfeife in den Aschbecher auf Hornbergs Schreibtisch, zog einen verbeulten Hut aus der Tasche und drückte ihn sich fest auf den Kopf. Erstaunlich für Tweed war die Veränderung des Gesichtes, das aus Gummi zu sein schien. Er hatte sich einen anderen Gesichtsausdruck zugelegt und war kaum noch als der Mann wiederzuerkennen, als der er in den Raum gekommen war.
»Ich bin beeindruckt«, sagte Tweed.
»Also, Mr. Tweed, für den Fall, daß Sie mich brauchen, wo wohnen Sie? Welche Zimmernummer haben Sie? Wann stehen Sie auf? Frühstücken Sie auf Ihrem Zimmer?«
»›Grand Hotel‹. Zimmer 632. Sieben Uhr morgens. Frühstück im Speisesaal. Noch etwas, Mr. Persson?«
»Das reicht, danke.«
Persson stopfte den Hut wieder in die Tasche, nahm seine Pfeife und verließ den Raum.
»Ich mag ihn«, sagte Tweed zu Hornberg. »Noch etwas, bevor ich gehe. Wenn Sie Schweden heimlich mit Finnland als Ziel verlassen wollten, welche Route würden Sie wählen?«
»Den Archipel. Mit einem kleinen Boot von einer der vielen Inseln des Schwedischen Archipels. Ich würde mir dafür die große Insel Ornö aussuchen – sie liegt fast am Rande des Archipels. Von da sind es nur wenige Stunden bis zum Archipel von Abo. Das einzige Problem wäre, daß wir dieses Gebiet sehr stark überwachen – wegen der sowjetischen Klein-U-Boote, die unsere Seeabwehr testen. Weiß Gott, die ganze Weltpresse ist voll davon.«
»Eine andere Route? Eine schnellere?«
»Flughafen Bromma – hier mitten in der Stadt«, schlug Hornberg vor. »Mit einer leichten Maschine, privat, könnte man außer Landes fliegen und in der Nahe von Abo – bei den Finnen heißt es Turku – landen.«
»Sie setzen also die genaue Überwachung fort?« sagte Tweed und stand auf.
»Beschattung von Dillon und Helene Stilmar. Überwachung sämtlicher Punkte, an denen eine Einreise möglich ist – wegen Stilmar selbst und General Dexter.«
Hornberg, der jetzt auch aufgestanden war, überragte mit seinen annähernd zwei Metern und seiner Haarmähne Tweed um einiges. An der Tür blieb Tweed stehen. Er sparte sich den wichtigsten Satz stets für den Moment seines Abganges auf. Was man zuletzt sagte, blieb im Gedächtnis eines Menschen besonders gut haften.
»Ist Ihnen je der Gedanke gekommen, daß diese sowjetischen Klein-U-Boote auch einem anderen Zweck dienen könnten als dem, Ihre Seeabwehr zu testen?«
»Welchem anderen Zweck?«
»Daß eines davon zur Aufnahme Procanes in Warteposition stünde. Ich würde mir gerne diese Insel Ornö ansehen, wenn Sie das für mich arrangieren könnten.«
20
»Ich glaube, es ist Zeit, unseren Vollstrecker nach Schweden zu schicken«, verkündete Lysenko. Er stand in Karlows Büro in der Pikk-Straße und schaute aus dem Fenster.
»Hauptmann Poluschkin? Warum?«
Karlow war bestürzt über diese Erklärung. Lysenko war ohne Vorwarnung von Leningrad nach Tallinn geflogen. Es war eine der liebsten Angewohnheiten des Generals, unerwartet aufzutauchen und seine Untergebenen zu kontrollieren. Da er jedem – egal ob Mann oder Frau – mißtraute, liebte er diese Ortsveränderungen. Sogar Rebet, der in Leningrad zurückgeblieben war, hatte keinerlei Hinweis erhalten. Er fuhr herum und starrte den Oberst an.
»Sie zweifeln meinen Befehl an?«
»Ja.« Karlow erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Eine heikle Operation ist im Gange – Procane sicher herüberzuschaffen. Gewalt könnte alles verderben.«
»Poluschkin ist für sein Geschäft entsprechend ausgebildet«, fuhr Lysenko fort. »Er wird mit der Rumänin, die von Bukarest nach Schweden geflüchtet ist, Kontakt aufnehmen. Magda Rupescu.
Sie werden im Team arbeiten.«
»Sie ist noch ärger als Poluschkin«, protestierte Karlow. »Ein wahres Monster, das sogar noch
Weitere Kostenlose Bücher